- PHILOSOPHIE TO GO -
DIE TÄGLICHEN
“WORTE DER WEISHEIT”
Sein Wille ist einer. Sein Herz ist beisammen. Der Weise ist eins und gesammelt.
Es handelt sich um ein Zitat aus dem kanonischen chinesischen „Buch der Lieder“ und wird zitiert im „Buch der Riten, Sitten und Gebräuche“, einem zentralen Weisheitstext aus dem alten China. Sammlung bedeutet hier vollkommen eins mit sich sein. Denken, Wollen, Sprechen und Handeln sind in Übereinstimmung gebracht. Im Hinblick auf die Werte, Haltungen, Ziele und Prinzipien der eigenen Lebensführung gibt es keinen Zwiespalt. Weisheit steht hier für ein in sich stimmiges, harmonisches Leben oder, wie die Chinesen sagen würden: für ein Leben, das dem „rechten Weg“ (Dao/Tao) folgt. Dazu ist es notwendig, dass man gesammelt bei sich ist, dass man sich selbst in allem treu zu bleiben versucht und alles mit größter Achtsamkeit aus der eigenen Mitte heraus tut. Das Gegenteil davon ist ein Leben in Zerstreuung und Fahrigkeit, bei dem man ständig die Verbindung zur eigenen Mitte verliert und vor sich selbst davonläuft.
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
in unserem Philosophie-Podcast „Der Pudel und der Kern“ ist eine weitere Folge #41 zu hören. Es geht um die "Entfremdung". Was bedeutet Entfremdung und wie können wir ihre belastenden und leidvollen Auswirkungen mit Hilfe der praktischen Philosophie überwinden?
„Sich selbst betrügen ist von allem das Schlimmste.“
Sokrates
Den kostenfreien Podcast und die wichtigsten Informationen dazu finden Sie auf der Website: www.pudel-kern.com
Ferner auf diversen Plattformen wie:
Spotify: https://open.spotify.com/episode/6r8eGhNRi15M86jIJUQy1l
Wenn Ihnen der Podcast gefällt, empfehlen Sie ihn weiter. Über Anmerkungen
und Rückfragen freuen wir uns.
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Nächstes philosophisches Wochenendseminar
21.-23. April 2023, „Haus der
Weisheit“ in Reit im Winkl
Philosophie und Wandern:
Xunzi
– Höhepunkte chinesischer Lebensweisheit
Dauer: Freitag, 10:30 h bis Sonntag, 12:30 h
Leitung:
Dr. Albert Kitzler
Seminarort: Haus der Weisheit, Unterbichlerstr. 24, 83242 Reit im Winkl
Seminargebühr: (inkl. Getränke,
Tee/Kaffee, Obst, Kuchen): 390,- €
Unterkunft buchen TN
selbständig. Zahlreiche Unterkünfte in Hausnähe.
Unterkunftsliste: siehe unten
Touristinformation:
https://www.reitimwinkl.de, Tel. 08640 80020
Anmeldung: E-Mail an massundmitte@gmx.de oder s. Anhang
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Nächstes philosophisches Webseminar
"Goethes Lebensweisheit - Eckermanns Gespräche mit Goethe"
Samstag, den 06. Mai 2023, 09:30 h - 18:00 h
Ein bekannter Goetheforscher sagte einmal, es sei das größtes Glück, sich mit Goethe beschäftigen zu können. Goethes Lebensweisheit gehört zu den wichtigsten Quellen der Menschenkenntnis und einer gelingenden Lebensführung. Von besonderer Bedeutung sind dabei die "Gespräche mit Goethe" von Johann Peter Eckermann. Für Nietzsche war es das "beste deutsche Buch". In jedem der drei Webseminare werden wir über einige der schönsten Passagen aus diesem Buch sprechen. Ich lade Sie herzlich dazu ein, diese mit mir daraufhin zu untersuchen, was wir daraus für unser Leben lernen können.
Die Seminare bauen nicht aufeinander auf, so dass sie einzeln gebucht werden können. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Die Termine für die Webseminare 2023:
Samstag, den 06. Mai 2023, 09:30 h - 18:00 h
Samstag, den 30. September 2023, 09:30 h - 18:00 h
Samstag, den 11. November 2023, 09:30 h - 18:00 h
Gebühr pro Seminar: 129,- €
Anmeldung: E-Mail an massundmitte@gmx.de oder s. Anhang
Es gibt zwei Sitzungen am Vormittag à 90 min. und zwei Sitzungen am Nachmittag à 75
min. Es sollten demnach ausreichend Pausen
vorhanden sein. Texte und Einwahldaten sende ich eine Woche vor
der Veranstaltung zu. Die
Teilnehmerzahl ist auf max. 12 begrenzt.
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Nächster philosophischer Urlaub
17. - 24. Juni 2023 im „Haus der Weisheit“ in Reit im Winkl
Thema: Chinesische Philosophie in Theorie und
Praxis:
I
Ging – Der Gelbe Kaiser – Qigong – Tai Chi
Mit der
japanischen Bewegungslehrerin Yuki und Albert Kitzler: Geist
– Körper – Energie
Leitung: Dr. Albert Kitzler
Seminargebühr (inkl. Getränke, Tee/Kaffee, Obst): 590 €
Unterkunft buchen TN
selbständig. Zahlreiche Unterkünfte in Hausnähe.
Unterkunftsliste: siehe unten
Touristinformation:
https://www.reitimwinkl.de, Tel. 08640 80020
Anmeldung: E-Mail an massundmitte@gmx.de oder s. Anhang
In diesem philosophischen Urlaub verbinden wir grundlegende Gedanken der ältesten chinesischen Philosophie und Gesundheitslehre mit praktischen Bewegungsübungen aus der Tradition des Tai Chi und Qigong. Für den praktischen Teil haben wir eine ganz außergewöhnliche Bewegungslehrerin aus Japan gewinnen können. Yuki, die seit vielen Jahren in Berlin lebt, vermittelt mit sanften Trainingseinheiten ein entschleunigtes Tai Chi-Erlebnis. Mit essentiellen Bewegungsübungen, langsamem Atmen und sicherem Stehen wird der Energiefluss angeregt und stabilisiert und stärkt so die körperliche und mentale Gelassenheit. Geistig setzen wir uns mit dem ältesten Weisheits- und Orakelbuch der Menschheit auseinander, dem I Ging (Buch der Wandlungen). Einige Grundlagen der traditionellen chinesischen Medizin aus dem „Gelben Kaiser“ runden das Programm ab.
Herzliche Grüße
Ihr
Albert Kitzler
Die Philosophie ermuntert die Seele, sich in sich selbst zu sammeln und sich zusammenzuhalten.
In dem platonischen Dialog „Phaidon“ über die letzten Stunden des Sokrates sagt dieser:
„ … die Lernbegierigen erkennen, daß, indem die Philosophie sich der Seele annimmt, ihr gelinde zuspricht und versucht, sie zu erlösen, indem sie zeigt, daß alle Betrachtung durch die Augen voll Betrug ist, voll Betrug auch die durch die Ohren und die übrigen Sinne, und deshalb sie überredet, sich von diesen zurückzuziehen, soweit es nicht notwendig ist, sich ihrer zu bedienen; dass sie die Seele ferner ermuntert, sich vielmehr in sich selbst zu sammeln und zusammenzuhalten und nichts anderem zu glauben als wiederum sich selbst … „
Denselben Gedanken finden wir vor allem im antiken indischen Denken. Die sinnlichen Eindrücke sind unzuverlässig, täuschen und wecken Begierden, die uns vom Wesentlichen ablenken. Wer zu sich selbst in seine Mitte kommen möchte, muss immer wieder durch Sammlung, Konzentration und Meditation gegen die natürliche Tendenz anarbeiten, sich durch die sinnlichen Eindrücke zu zerstreuen und das Wertvolle am Leben aus den Augen zu verlieren. Der Philologe Werner Jaeger führt zu dieser Stelle aus:
„Das Wissen ist hier beschrieben als Sammlung der Seele - einen der unsterblichen psychologischen Begriffsschöpfungen Platos -, wenn sie sich aus der Zerstreuung der Sinne, die stets zur Außenwelt hindrängen, auf ihre eigenste innere Tätigkeit konzentriert. Der Gegensatz der geistigen und sinnlichen Natur des Menschen findet in diesem Werk seinen schärfsten Ausdruck.“
Es ist nachvollziehbar, dass man dieser
Auffassung Platons eine gewisse Körperfeindlichkeit vorgeworfen. Der „Körper ist der Kerker der Seele“ heißt
es bei ihm an anderer Stelle.
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Ich habe vom Meister (Konfuzius) gehört, wenn ein Mensch sein eigenes Selbst noch nicht entfaltet habe, dass das sicher in der Trauerzeit geschehen werde.
Zu dieser Stelle schreibt der Übersetzer Richard Wilhelm in seinem Buch über Konfuzius:
„ ... Solche Zeiten innerer Einkehr (Trauerzeit) sind Quellen tiefster Kraft, und es ist verständlich, wie ein Mensch, der sie mit frommem und ernstem Gemüt durchlebt, daraus Kräfte des innersten Wesens schöpft, die ihn befähigen, in der rechten Weise die Leitung der Menschen zu unternehmen, die seiner Führung anvertraut sind.“
Schicksalsschläge wie der Tod einer nahestehenden Person sind immer auch ein Anlass, den Schritt anzuhalten, in sich zu gehen, sich zu sammeln und sich innerlich neu auf das Wesentliche zu konzentrieren. Solche Momente sind sehr wichtig für die eigenen Lebensführung. Auch ohne äußeren Anlass sollte man sich regelmäßig Zeit zur inneren Einkehr nimmt. „Wer sich nur nach außen wendet, ohne zu sich selbst zurückzukehren, geht schließlich als Gespenst umher“, sagt der chinesische Philosoph Zhuangzi, „und was er draußen findet, ist der Tod.“
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Gerade, wenn der Druck am größten ist, versäumt man es, sich in sich selbst zurückzuziehen und sich die notwendige Atempause und Erholung zu schaffen.
Bei dem griechischen Philosophen Plutarch lesen wir:
„Wenn einem aber das eigene Leben einen unfreundlichen, in Kummer versunkenen Anblick bietet, weil die unerfreulichen Leiden, Geschäfte und Sorgen kein Ende nehmen und einen unaufhörlich niederdrücken und bedrängen, dann gönnt man sich die Abwechslung nicht, dass man sich in sich selbst eine Atempause und Erholung schafft, ja, nicht einmal den Zuspruch anderer nimmt man an, obwohl er einen Gedanken enthält, den man verwirklichen könnte: von nun an mit dem, was die Gegenwart bietet, unschuldig auszukommen, der Vergangenheit dankbar zu gedenken und die Zukunft in gütiger und lichter Hoffnung ohne Furcht und Argwohn herankommen zu lassen.“
Auch das Altertum scheint Stress und Überforderung gekannt zu haben. Auch damals schon schienen manche Menschen unfähig zu sein, das Hamsterrad anzuhalten, die Stopptaste zu drücken, die notwendigen Pausen zu machen und abzuschalten, um Ruhe und Kraft zu sammeln. Bei dieser Einkehr sollten wir zu inneren Haltungen und Einsichten gelangen, mit denen wir entweder äußeren Druck vermeiden können oder doch lernen, mit ihm umzugehen, ohne unsere innere Ruhe zu verlieren. Plutarch deutet an, was solche Haltungen sein könnten.
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Wenn wir nach innen das Unsrige getan haben, so wird sich das nach außen von selbst geben.
In einem Brief Goethes an einen Freund, der nach Rom gereist ist, lesen wir folgenden Ratschlag:
„Wenden Sie die nötige Zeit auf und denken Sie immer: dass wir nur eigentlich für uns selbst arbeiten. Kann das jemand in der Folge gefallen oder dienen, so ist es auch gut. Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst und so lassen Sie auch Ihren Aufenthalt in Rom Ihren Zweck sein. In diesem Sinne bereit ich mich auch vor, und wenn wir nach innen das Unsrige getan haben, so wird sich das nach außen von selbst geben.“
Das ist Goethes Antwort auf die Frage nach dem „Sinn“ des Lebens („Zweck des Lebens“): Es gibt keinen „Sinn“ jenseits des Lebens selbst. Das Existieren, das Geborenwerden, Wachsen, Entfalten, Blühen, Wirken, Verwelken und Platzmachen für neues Leben – das ist nach Goethe der Sinn des Lebens. Wir finden den Sinn in uns und unseren Bedürfnissen, Talenten, Begabungen, die gelebt werden wollen. Daher der wichtige Schlusssatz: Wenn wir unser Seelenleben in Ordnung bringen, uns um uns kümmern und das heißt vor allem, uns kennenlernen, unser Wesen und unsere tiefsten Bedürfnisse, dann folgt daraus der Wille zu ihrer Verwirklichung, zur Tätigkeit, zur Befriedigung dieser Bedürfnisse.
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Glück und Unheil entsprechen Beherrschung und Unbeherrschtheit.
Das ist ein Ausspruch des bedeutenden chinesischen Dichters Pai Chü-i (Bai Juyi), den uns der japanische Gelehrte Kaibara Ekiken überliefert. Bei diesem lesen wir:
„Länge und Kürze des Lebens hängen also nicht von der Stärke und Schwäche des Körpers ab, sondern von der Achtsamkeit oder Sorglosigkeit (im Umgang mit sich selbst). Das ist es auch, was Pai Chü-i mit den Worten ‚Glück und Unheil entsprechen Beherrschung und Unbeherrschtheit‘ zum Ausdruck bringt.“
Die „Länge des Lebens“ steht im fernöstlichen Raum auch bildlich für ein glückliches, erfülltes Leben. Das erreichen wir, wenn wir auf uns achtgeben, uns kontinuierlich weiterentwickeln und innere Widerstände und Trägheit konsequent überwinden („Beherrschung“). Später gibt Ekiken ein einfaches Beispiel dafür, was die Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst im Hinblick auf die ästhetische Gestaltung des eigenen Wohnbereichs heißt:
„Wenn die äußere Umgebung rein ist, wird auch das Innere durch die Begegnung mit einem solchen Äußeren gereinigt. Dies ist das Prinzip, das Innere durch das Äußere zu kultivieren. Daher ist die Wohnung frei von Staub und Schmutz zu halten ...“
Es tut unserer Seele und damit auch unserem Geist und unserem Körper gut, wenn wir unseren unmittelbaren Lebensraum schön gestalten, Ordnung schaffen und ihn pflegen. Er ist ein Spiegel unserer Seelenverfassung.
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Widme doch einmal wenigstens etwas Zeit deiner eigenen Seele … diese Dinge sind doch die allerwichtigsten!
Die Selbstreflexion ist ein wesentlicher Bestandteil der Selbstsorge. Bei dem Stoiker Epiktet finden wir folgende Mahnung zum Nachdenken über sich selbst:
„Hast du dich etwa jemals mit Fragen der Lebensführung beschäftigt? Oder mit dem Wesen deines eigenen Geistes? Weißt du etwa, aus was für Teilen er besteht, wie er zusammengesetzt ist, welches seine Gliederung ist, was er für Fähigkeiten hat und welcher Art diese sind? ... Aber diese Dinge sind doch die allerwichtigsten! ... Widme doch einmal wenigstens etwas Zeit deiner eigenen Seele; denk doch einmal ernstlich darüber nach, was das für ein Wesen ist, das du besitzest, woher es gekommen ist; eine Macht, die alle anderen Dinge richtig zu gebrauchen vermag, die befähigt ist, alle anderen Dinge zu prüfen, auszuwählen und zu verwerfen. Solange du dich aber nur mit äußeren Dingen beschäftigst, wirst du diese freilich in einem Maße besitzen wie niemand sonst; dagegen bleibt diese Gabe (der Selbstreflexion) in dem Zustand, wie du ihn haben willst: vollkommen verwahrlost und verkümmert.“
Epiktet spricht die Werte und tiefsten Bedürfnisse an, die wir in uns erkennen sollen, um stets zu wissen, was wir zu tun und zu lassen haben. Wer sich nur nach außen wendet, lässt die Fähigkeit und das Bedürfnis verkümmern, sich und den Sinn seines Lebens zu erkennen. Er lebt an seinen eigentlichen Bedürfnissen vorbei. Nachhaltiges Glück wird er auf diesem Wege nicht finden.
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Bei all deinem Tun achte auf dich selbst.
Auch im Alten Testament findet sich die Mahnung zur Selbstsorge. Das Zitat stammt aus Jesus Sirach. An anderer Stelle heißt es dort:
„Mein Sohn, wenn du
imstande bist, pflege dich selbst;
soweit du kannst,
lass es dir gut gehen! …
Versag dir nicht das
Glück des heutigen Tages;
an der Lust, die dir
zusteht, geh nicht vorbei!“
Die Selbstsorge, die Pflege des eigenen Selbst, bedeutet auch, das Hier und Jetzt dankbar zu genießen. Sie darf nicht mit einem selbstsüchtigen Egoismus verwechselt werden. Die tiefsten Bedürfnisse des Menschen, schreibt Erich Fromm, sind die nach Verbundenheit und nach Wachstum, mit anderen Worten: nach einem gelingenden, liebevollen und zugewandten Miteinander und nach Entwicklung, Entfaltung und Wirksamkeit der Persönlichkeit im Innern wie im Außen. Wer diese fundamentalen Grundbedürfnisse in sich erkennt, der tut alles, was er für sich tut, zugleich für die Gemeinschaft. Die Liebe und Pflege des eigenen Selbst ist zugleich Liebe und Fürsorge für andere Menschen und für alles, worauf sich Liebe und Zuneigung erstrecken kann, wie die Natur, die Kunst, die Weisheit, liebgewordene Dinge, für das, was man tut, oder Gott.
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Man befleißigt sich freundlicher Mienen, heiterer Worte und ehrfurchtsvollen Benehmens. Auf diese Art geschieht die Pflege des rechten Umgangs mit anderen.
Die Regeln, die der chinesische Kaufmann und Philosoph Lü Buwei für die Pflege der Eltern aufgestellt hat, gelten auch für den Umgang mit sich selbst, der Selbstsorge:
„Die Pflege der Eltern geschieht auf fünffache Weise. Man richtet Häuser und Zimmer her, sorgt für bequeme Betten und Matten und für richtig zubereitete Getränke und Speisen. Auf diese Weise geschieht die Pflege des Leibes. Man bereitet fünffarbige Dinge, sorgt für bunte Bemalung und geschmackvolle Verzierung. Auf diese Art geschieht die Pflege des Auges. Man ordnet die sechs Tonarten, stimmt die fünf Noten ab, teilt sie den acht Arten von Musikinstrumenten zu. Auf diese Art geschieht die Pflege des Ohrs. Man macht die fünf Getreidearten gar … und stellt Gebratenes und Gekochtes in richtiger Übereinstimmung zusammen. Auf diese Art geschieht die Pflege des Mundes. Man befleißigt sich freundlicher Mienen, heiterer Worte und ehrfurchtsvollen Benehmens. Auf diese Art geschieht die Pflege des Willens. Diese fünf Arten abwechselnd anzuwenden und reichlich auszuführen ist die rechte Art, die Eltern zu pflegen.“
Man soll sein Leben so führen, dass es für die Sinne ein Genuss ohne Reue und für das Zusammenleben eine Freude ohne Streitigkeiten ist. Die kontinuierliche, bewusste und achtsame Pflege von Geist, Körper und Seele ist die Voraussetzung für ein glückliches Leben.
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Der Weg der Lebenspflege besteht darin, achtsam zu sein, wenn man frei von Krankheit ist.
Der Ausspruch stammt von dem japanischen Weisen Kaibara Ekiken aus seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel ‚Regeln zur Lebenspflege‘ (Yōjōkun). In diesem Zusammenhang führt er aus:
„Man muss sich aber um die Grundlagen (des guten Lebensführung) bemühen. … Neun von zehn Menschen schaden sich selbst. Deshalb sollte jeder die Kunst der Lebenspflege kennen. … Die Alten sagten, dass es eine Kunst des langen Lebens gibt. Und weiter heißt es, ‚Das Leben des Menschen liegt bei ihm selbst und nicht beim Himmel‘. ... Wer aber ein wildes Gemüt hat, seinen Begierden freien Lauf lässt und nicht achtsam ist, der wird nicht lange leben.“
Weise Lebensführung bedeutet auf sich selbst achten, d. h. Selbstsorge: auf die Impulse und Botschaften des Körpers hören, den Gründen für die Entstehung der Gefühle nachspüren, die Bedeutung und das Gewicht der verschiedenen Bedürfnisse und Begierden ausloten. Je besser man sich kennt, umso leichter und angenehmer wird das Leben. Man hat Geist, Seele und Körper. Jedes dieser drei Teile verlangt einen sorgsamen Umgang, Zuwendung, Nahrung, Zeit und Pflege. Wer sich regelmäßig, im rechten Maß und zur rechten Zeit („wenn man frei von Krankheit ist“ – praktische Philosophie ist Prophylaxe!) um alle drei Teile kümmert, dessen Freude am Leben wird wachsen.
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Also müssen wir erwägen, wer imstande ist, die Seele richtig zu behandeln, und wer darin gute Lehrer gehabt hat.
Die Sorge, Pflege, Erziehung und Leitung der eigenen Seele war für Sokrates, von dem das Zitat stammt, die erste und wichtigste Aufgabe der Philosophie. Der Ausdruck, den er hierfür benutzt, lautet auf Griechisch „therapeia tes psyches“, die Pflege und Wartung der Seele, der Dienst an der Seele, das Sich-kümmern um das Wohlergehen, die Reinigung und die Gesundung der Seele. Unschwer erkennt man in dem Griechischen Ausdruck unser Wort „Psychotherapie“. Die Philosophie war für Sokrates und nahezu das ganze griechische, hellenistische Denken „Seelenheilkunde“. Die Philosophen erkannten, dass sich der Mensch zu wenig, nicht richtig oder nicht gründlich genug um eine gute Seelenverfassung bemühten, die Grundlage für ein glückliches Leben ist. Ihr Ideal war die gute, schöne und gesunde Seele, die zugleich die glückliche Seele ist. Sie suchten nach Wegen, wie man dieses Ideal im täglichen Leben verwirklichen kann. Das Zitat lautet vollständig:
„Also müssen wir erwägen, ob einer von uns die rechte Ausbildung hat hinsichtlich der Behandlung der Seele (therapeia tes psyches) und imstande ist, sie richtig zu behandeln, und wer darin gute Lehrer gehabt hat.“
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Da Du ein Mensch bist, beherrsche den Zorn.
In allen Weisheitslehren wurde der Zorn als eine der schwersten Verfehlungen gegen andere und sich selbst angesehen. Für die Inder war er eine der Pforten zur „Hölle“, für die Christen eine Todsünde. Seneca schrieb eines seiner umfangreichsten Bücher über den Zorn. Wer demütig das annimmt, was er nicht ändern kann, wer sein Schicksal und die unangenehmen Ereignisse des Tages mit Leichtigkeit tragen kann, in der Erkenntnis seiner eigenen Schwächen, Unvollkommenheit und Endlichkeit nachsichtig ist gegenüber den Irrtümern und Fehlern der anderen Menschen, vielleicht sogar fähig ist, ihnen zu verzeihen wie sich selbst, der bleibt frei von Ärger und Zorn. Dazu fordert uns der Ausspruch Menanders auf.
Zum Zorn gibt es eine hübsche Geschichte, die von dem bedeutenden Zen-Meister Hakuin Ekaku erzählt wird:
Ein Krieger besuchte
Meister Hakuin und fragte:
"Gibt es wirklich einen Himmel und eine Hölle?"
"Wer bist du?" fragte der Meister.
"Ein Soldat der kaiserlichen Garde", erwiderte der Krieger stolz.
"Das glaube ich nicht", meint der Hakuin, "dafür siehst du viel
zu jämmerlich aus. So einen stellt der Kaiser nicht in die Garde ein!"
Aufbrausend griff der Krieger zum Schwert, doch Hakuin blieb ganz ruhig und
sagte nur: "Na los! Wirst du es wirklich schaffen, mir den Kopf
abzuschlagen?"
Der Krieger konnte sich nicht mehr zurückhalten und stürzte wütend mit
gezogenem Schwert auf den Meister ein.
Der lächelte nur und sagte: "Jetzt kennst du die erst die Hälfte der
Antwort: eben hast du die Tore der Hölle geöffnet."
Wie vom Blitz gerührt blieb der Krieger stehen, dann steckte er sein Schwert in
die Scheide und verneigte sich vor Hakuin.
"Jetzt kennst du die zweite Hälfte der Antwort", sprach der Meister,
"eben hast du die Tore des Himmels geöffnet."
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Die Zeit bringt die Wahrheit ans Licht.
Dieses bis heute bekannte geflügelte Wort stammt von Menander. In den Weisheitslehren in Orient und Okzident war die Wahrhaftigkeit eine der zentralen Eigenschaften eines gelingenden Lebens. Für Gandhi war sie der höchste Wert: „Meine stets gleichbleibende Erfahrung hat mich überzeugt“, schreibt er in seiner Autobiographie, „dass es keinen anderen Gott als die Wahrheit gibt.“ Dabei unterschied er eine Wahrheit im Reden und eine Wahrheit im Denken. Die Gedanken wahrmachen ist das Ziel aller Philosophie. Es gibt weitere Erscheinungsformen der Wahrheit, so die Wahrheit sich selbst gegenüber und die Wahrheit im eigenen Verhalten. Sich selbst gleichbleiben, innere Stimmigkeit, die Übereinstimmung von Denken, Reden, Wollen, Fühlen und Handeln waren stets das Zeichen einer zur Reife gelangten weisen Persönlichkeit. Was hier nicht stimmig ist, wird sich immer irgendwann an negativen, leidvollen Folgen zeigen.
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Als Mensch gedenke des gemeinsamen Geschicks.
Wie ein roter Faden zieht sich der Gedanke der Mitmenschlichkeit durch die überlieferten Aussprüche des Menander. Schon das „Erkenne Dich selbst“, das bereits dreihundert Jahre vor Menander in der Vorhalle des Apollon-Heiligtums in Delphi eingraviert wurde, wollte den Eintretenden ermahnen, dass er nie vergessen solle, dass er ein Sterblicher ist, d. h. endlich, beschränkt, weder allwissend noch frei von Fehlern. Wem diese Einsicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, wird verständnisvoll, milde und nachsichtig. Er lernt, seine Mitmenschen zu verstehen, auf sie einzugehen, ihnen zu helfen, wenn sie Hilfe brauchen, ihnen und sich selbst zu verzeihen. Er verringert seinen Ärger über andere Menschen und vermehrt die Anzahl seiner Freunde. Für Konfuzius war solche Mitmenschlichkeit der höchste Wert und das letzte Ziel aller Persönlichkeits- und Gesellschaftsentwicklung.
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Alles, was zur rechten Zeit geerntet wird, weiß Dank.
Alles hat seine Zeit. Die Griechen nannten den rechten Augenblick Kairos und machten einen Gott aus ihm. Man hüte sich davor, warnt Menander, die Erfolge des eigenen Tuns zur Unzeit zu erwarten oder eintreiben zu wollen. Alle Früchte haben einen Zeitpunkt der Blühte, der Reife und des Verfalls. Wenn sie reif sind oder kurz davor, muss man sie ernten. Zu früh oder zu spät geerntet, schmecken sie nicht und können Krankheiten verursachen. In allem braucht man Geduld, um ruhig warten, und Entschlossenheit, um beherzt handeln zu können. Bekannt ist die Geschichte eines Kindes, das den Frühling nicht erwarten konnte und die zarten Stengel der aufkeimenden Blumen aus dem Boden zog. Nichts davon blühte auf, es hatte sie zerstört.
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Jeder Gewinn, unrechtmäßig erworben, bringt Schaden.
Menanders Ausspruch entspricht einer allgemeinen Auffassung, die in allen antiken Weisheitstraditionen in Orient und Okzident anzutreffen ist. Man scheint eine Gesetzmäßigkeit beobachtet zu haben, wonach derjenige, der mit unrechten Mitteln etwas erlangt oder zu Reichtum kommt, dies am Ende teuer bezahlt. Vielleicht hat diese Erkenntnis etwas mit dem Charakter des Handelnden zu tun. In dem unrechten Handel offenbart sich ein mangelhafter Charakter, der nicht davor zurückschreckt, anderen Unrecht zuzufügen. Ein solcher Charakter mag ein Leben in Reichtum oder Luxus führen, nie aber ein glückliches. Denn tief empfundenes, anhaltendes Glück und seelisches Wohlbefinden wird nur einem „guten“ Charakter zuteil, der mit sich im Reinen ist, menschliche Werte und Haltungen vertritt und in Übereinstimmung mit diesen lebt. Die tiefste Sehnsucht des Menschen ist auf ein gelingendes harmonisches Miteinander gerichtet. Unrechtes Verhalten schädigt oder verhindert ein solches Miteinander und zugleich die eigene Integrität. Unrechttun ist schlechter Samen im eigenen Seelengarten, der, wenn er genährt wird und aufgeht, zu innerseelischen Schädigungen führt.
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Als Sterblicher bewahre nicht unsterblichen Zorn.
So die wörtliche Übersetzung eines Ausspruchs des Menander. Gemeint ist, dass wir uns von einem Zorn, der nicht enden will, befreien sollten. Unsere Lebenszeit ist begrenzt und zu wertvoll, um sie zornig zu verbringen. Mit jedem Ereignis, das Zorn bei uns auslöst, sollten wir irgendwann Frieden schließen, d. h. es innerlich aufarbeiten und für uns beenden können. Andernfalls frisst sich der Zorn immer tiefer in die Seele und macht sie und den Körper krank. Zorn ist wie eine offene Wunde, die heilen und vernarben muss, wenn sie uns nicht dauerhaft Schmerzen bereiten und unser Leben verdüstern soll. Gut zu leben bedeutet, zu sich selbst, zu anderen Menschen und zur Welt ein schmerz- und leidfreies Verhältnis zu finden und zu bewahren. Das heißt nicht, zu akzeptieren, was ist, und sich nicht dafür einzusetzen, dass Missstände behoben und die Welt eine bessere wird. Aber das gelingt uns umso mehr, je ruhiger und ausgeglichener wir im Innern sind und keinen Zorn in uns tragen.
Vielleicht hatte Seneca an Menander gedacht, als er in seinem Buch über den Zorn schrieb: „Nicht mäßigen, nein völlig verbannen müssen wir den Zorn ... Dabei wird nichts uns bessere Dienste leisten als der Gedanke an unsere Sterblichkeit. ... Warum machen wir den Streit zu unserem Lebensgenossen?“
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Für die Sterblichen ist die Bildung ein unsterbliches Gut.
Der Ausspruch stammt von dem bedeutenden griechischen Komödiendichter Menander. Er hat über 100 Komödien geschrieben, von denen aber nur eine einzige nahezu vollständig überliefert ist. Seine Nachwirkung reicht bis zu den Komödiendichtern der Neuzeit wie Molière und Carlo Goldoni. Mit „Bildung“ ist hier nicht nur die Schulbildung gemeint. Menander dürfte auch, wenn nicht an erster Stelle, die Bildung und Formung der Persönlichkeit im Blick gehabt haben, wie sie in philosophischen Kreisen gepflegt wurde, mit denen Menander verbunden war. Danach war es das oberste Ziel der Erziehung und Bildung, insbesondere auch der Selbstbildung, den Charakter zu formen, ein tugendhafter Mensch zu werden, der sich am Guten und Schönen erfreut und es in seinem Leben zu verwirklichen sucht. Er soll sich zu einer in sich stimmigen, authentischen und ausgeglichenen Persönlichkeit bilden, die möglichst frei von negativen Affekten wie Angst, Sorge, Zorn, Ärger, Hochmut, Gier, Neid, Eifersucht etc. ist, sich weitgehend unabhängig von äußeren Gütern gemacht hat und aus einer Grundstimmung heiterer Gelassenheit heraus ein glückliches, erfülltes Leben führt. Bei einem solchen Menschen lässt sich alle Freude auf seinen inneren Reichtum zurückführen, den ihm niemand nehmen kann und der durch nichts beeinträchtigt werden kann. So bleibt er sich stets gleich, in guten wie in schlechten Zeiten, wie man es von dem großen Vorbild Sokrates gesagt hat.
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Für einen treuen Freund gibt es keinen Preis, und nichts wiegt seinen Wert auf.
Der Satz stammt aus dem Buch Jesus Sirach des Alten Testaments. Alle antiken Kulturen und Weisheitstraditionen sahen in der Freundschaft einen der höchsten Werte im menschlichen Leben. Eine der ersten und nachhaltigsten Prägungen, die der Mensch erhält und die sein ganzes Leben maßgeblich bestimmt, ist das Erlebnis der tiefen Verbundenheit, ja Einheit mit einem anderen Menschen. Er erfährt sie gemeinsam mit den Gefühlen von Geborgenheit, Sicherheit, Wärme, Nähe, Genährt- und Getragensein als Embryo im Mutterleib und speichert sie für immer in seinem Körpergedächtnis. Sein ganzes Leben wird er sich nach menschlicher Verbundenheit und nährender Resonanz sehnen. Neben der Lebenspartnerschaft und der Liebe zu den eigenen Kindern kommt daher einer tiefen, wahren Freundschaft eine fundamentale Bedeutung für ein gelingendes Leben zu. Sie ist eine Form der Erfüllung unserer tiefsten Sehnsucht, die nach Mitsein, Verbundenheit, Verschmelzung, Einssein. Der Psychoanalytiker Otto Rank spricht von dem „Trauma“ der durch die Geburt herbeigeführten Trennung und Vereinzelung, die durch das Gefühl der Verbundenheit mit einem anderen Menschen überwunden werden kann.
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Der Freund ist ein zweites Ich.
Das Zitat stammt von Aristoteles. Der höchste Grad der Freundschaft sei erreicht, wenn jemand sich zu dem Freund so verhalte wie zu sich selbst. Dies sei mit dem Gefühl der Mutter gegenüber ihrem Kind vergleichbar. Sie tue alles um des Kindes willen. Der Gute aber, der mit sich einig sei und das Gute in sich erkenne, sei sich selbst der beste Freund. Und wie zu sich selbst, so solle er sich auch zu seinem wirklichen Freund verhalten. So werde der Freund zu seinem zweiten Ich. Er liebe das Gute in ihm wie in sich selbst und verhalte sich deshalb zu ihm wie zu sich selbst. Für Aristoteles ist wahre Freundschaft ein so hoher Grad von innerer Verbundenheit, dass man nahezu von Identität sprechen könne, „eine Seele in zwei Körpern“, wie Diogenes, der Philosoph, der zweitweise in einem großen Weinfass lebte, es später ausdrücken sollte. Mit unseren besten Freunden wachsen wir zu einer Einheit zusammen.
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Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt in uns.
In Goethes Trauerspiel ‚Egmont‘ sagt dieser, nachdem er zum Tode verurteilt wurde, zu seinem Freund Ferdinand:
„Sieh mich in diesen Augenblicken an; du verlierst mich nicht. War dir mein Leben ein Spiegel, in welchem du dich gerne betrachtet hast; so sei es auch mein Tod. Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns (sic). Ich lebe dir, und habe mir genug gelebt (sic). Eines jeden Tages hab ich mich gefreut; an jedem Tage mit rascher Wirkung meine Pflicht getan, wie mein Gewissen sie mir zeigte. Nun endigt sich das Leben. Ich höre auf zu leben; aber ich habe gelebt. So leb auch du, mein Freund, gern und mit Lust, und scheue den Tod nicht.“
Wahre Freundschaft braucht nicht die körperliche Anwesenheit des Freundes/der Freundin, weil Freunde/innen zu einem festen Bestandteil der inneren Welt des jeweils anderen werden. Auch nach dem Tod lebt die Freundschaft fort, solange der Verstorbene noch in dem Herzen des Freundes wohnt. Konfuzius kritisierte einmal ein Gedicht, in dem eine Frau sehnsuchtsvoll die Abwesenheit des Geliebten beklagt, mit den Worten, dies sei keine wahre Liebe, denn diese vermag jede äußere Distanz zu überbrücken.
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Eine Freundschaft, die in Feindschaft umschlagen kann, verdient ebenso wenig ihren Namen wie eine Liebe, die zu Hass werden kann.
Das ist der Sinn der folgenden Äußerung von Konfuzius:
„Ein Verwandter bleibt immer ein Verwandter, und ein alter Bekannter bleibt immer ein alter Bekannter.“
Wahre Freundschaft verbindet sich mit dem Kern des jeweils anderen Menschen. Da dieser sich im Laufe des Lebens wenig ändert, bleibt eine Verbundenheit auch dann bestehen, wenn es äußerlich zu einer Trennung kommt, etwa weil man aufgetretene Konflikte nicht bereinigen kann oder man sich auseinandergelebt hat. Meistens wird die bleibende Verbundenheit oder innere Verwandtschaft aber nicht mehr wahrgenommen, weil es zu Verletzungen oder Kränkungen gekommen ist, die man nicht heilen kann oder nicht heilen möchte. Das ist häufig bei der Trennung einer Partnerschaft der Fall. Nicht viele Menschen besitzen die Geistesgröße, über geschehene Verletzungen hinwegzusehen und nicht zu vergessen, wie tief man mit dem anderen verbunden war und dass die gemeinsame Zeit immer ein Teil der eigenen Geschichte bleiben wird.
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
in unserem Philosophie-Podcast „Der Pudel und der Kern“ ist eine weitere Folge #38 zu hören. Es geht darum, was das Wörtchen "Nein" mit dem gelingenden Leben zu tun hat. "Nein" bedeutet nicht selten, "Ja" zu sich selbst zu sagen. Aber wann ist das der Fall?
„Nur wenn du Nein sagen kannst, kannst du dich auf die Dinge konzentrieren, die wirklich wichtig sind.“ (Steve Jobs)
Den kostenfreien Podcast und die wichtigsten Informationen dazu finden Sie auf der Website: www.pudel-kern.com
Ferner auf diversen Plattformen wie:
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Wenn Ihnen der Podcast gefällt, empfehlen Sie ihn weiter. Über Anmerkungen
und Rückfragen freuen wir uns.
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Es sind noch Plätze frei:
Wochenendseminar "Philosophie und Wandern"
21.-23. April 2023, „Haus der
Weisheit“ in Reit im Winkl
An diesem verlängerten Wochenende wollen wir Geistiges und Körperliches verbinden und in einem ausgewogenen Verhältnis über unser Leben nachdenken und die Schönheit der Chiemgauer Alpen genießen. Die kurzen Textpassagen, über die wir sprechen werden, stammen von einem der bedeutendsten Weisen des chinesischen Altertums, dem Konfuzianer Xunzi. Alles, was wir für ein gelingendes Leben wissen sollten, können wir von ihm lernen. Philosophische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Xunzi
– Höhepunkte chinesischer Lebensweisheit
Dauer: Freitag, 10:30 h bis Sonntag, 12:30 h
Leitung:
Dr. Albert Kitzler
Seminarort: Haus der Weisheit, Unterbichlerstr. 24, 83242 Reit im Winkl
Seminargebühr: (inkl. Getränke,
Tee/Kaffee, Obst, Kuchen): 390,- €
Unterkunft buchen TN
selbständig. Zahlreiche Unterkünfte in Hausnähe.
Unterkunftsliste: siehe Anhang
Touristeninformation:
https://www.reitimwinkl.de, Tel. 08640 80020
Anmeldung: siehe Anhang
Ich freue mich, mit Ihnen dieses Wochenende verbringen zu können.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Albert Kitzler
Schließen Sie Freundschaft mit sich. Wenn Sie für sich ein wirklicher Freund, eine wahre Freundin sind, können Sie das auch für einen geliebten Menschen sein.
Die Worte stammen von dem vietnamesischen buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh, der im letzten Jahr im Alter von 95 Jahren verstarb. Je mehr wir mit uns selbst im Reinen sind, einen inneren Ausgleich gefunden und Freude daran haben, wie wir leben und wie wir unser Leben eingerichtet haben, umso eher sind wir fähig und bereit, anderen Menschen mit Zugewandtheit, Wohlwollen und Neugier zu begegnen und tiefere, nährende Beziehungen mit ihnen einzugehen. Mit sich selbst befreundet sein, sich anzunehmen, wie man ist, Freude am täglichen Leben zu haben, bringt Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Angstfrei und zugewandt können wir uns jedem Gegenüber öffnen und uns so geben, wie wir sind. Der andere spürt die freundliche Gesinnung und ist bereit, sich seinerseits zu öffnen. Wo man sich aber offen und aufrichtig begegnet und mit seinen Gefühlen wach und präsent ist, wo Seelen sich berühren, da können Freundschaft und Liebe entstehen.
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Herzensfreunde stärken einander und sind sich Balsam für die Seele.
Das ist der Sinn des folgenden Kommentars, den Konfuzius zum 13. Zeichen des I Gings (Buch der Wandlungen), der „Gemeinschaft mit Menschen“, gemacht hat:
„Doch wo zwei
Menschen einig sind in ihrem innern Herzen,
Da brechen sie die Stärke selbst von Eisen oder Erzen.
Und wo zwei Menschen sich im innern Herzen ganz verstehn,
Sind ihre Worte süß und stark wie Duft von Orchideen.“
In allen Weisheitstraditionen der Antike kam der Freundschaft bei der Suche nach dem gelingenden Leben eine große Bedeutung zu. Offenbar wurde erkannt, dass für jede persönliche Entwicklung der Zuspruch und die kritische Begleitung von Gleichgesinnten, mit denen man emotional verbunden ist („im innern Herzen ganz verstehn“), unerlässlich ist. In Indien nimmt diese Aufgabe seit jeher auch der Guru wahr, der spirituelle Lehrer, und die Mitglieder der Sangha, die buddhistische Gemeinschaft.
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Freunde mit gutem Charakter machen einander besser.
Bei Aristoteles lesen wir über das Wesen der Freundschaft Folgendes:
„Die Freundschaft der Schlechten ist schlecht (denn sie treiben gemeinsam Schlechtes und sind dabei unbeständig und werden schlecht, indem sie einander ähnlich werden), die Freundschaft der Tugendhaften ist tugendhaft und wächst durch den Umgang miteinander. Und sie scheinen auch besser zu werden, indem sie tätig sind und einander korrigieren. Denn jeder nimmt einen Abdruck auf von den Eigenschaften, die ihm am anderen gefallen, und so heißt es: »Edles lernst du von Edlen.«“
Nach Aristoteles ist es wichtig, darauf zu achten, mit wem man Umgang pflegt und mit wem man eine Freundschaft eingeht. Der Charakter des Freundes färbt ab. Ist dieser gut, nimmt man Gutes an, ist er schlecht, Schlechtes. Sokrates verglich dieses Verhältnis einmal mit zwei Gläsern, die dicht beieinanderstehen. Sind sie mit einem Faden verbunden, so fließt über diesen Faden die Flüssigkeit des volleren in das leerere. Nicht selten sind Freunde einander Vorbilder und Lehrmeister und die wichtigsten Förderer und Begleiter der persönlichen Entwicklung.
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So lebe lustig, trinke; nur der heutige Tag ist dein eigen, das andere ungewiss.
In der
Tragödie ‚Alkestis‘ des Euripides sagt
Herakles Folgendes:
„Sieh, allen Menschen ist der Tod
beschieden, und
Es gibt auf Erden keinen, welcher sicher weiß,
Ob auch der nächste Tag ihn noch am Leben trifft.
Des Glückes Laune ist ungewiss, wohin sie führt,
Und nicht erlernbar, keine Kunst enthüllt sie uns.
Nun, wenn du dies vernommen und begriffen hast,
So lebe lustig, trinke; nur der heutige Tag
Gehört dir eigen, alles andere nur dem Glück.“
Das Bewusstsein der Vergänglichkeit, die Gewissheit des eigenen Todes und die Ungewissheit seines Zeitpunkts sollten den philosophisch gesinnten Menschen zu der Erkenntnis führen, dass im Leben das Hier und Jetzt das Kostbarste ist und dass man die Zukunft weitgehend auf sich beruhen lassen sollte. Dann bleibt man gelassen. Wenn man dagegen ständig im Morgen lebt, ist man voller Unruhe. Die Worte des Euripides erinnern an eine Stelle aus der Bergpredigt Christi:
„Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage.“
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
ich möchte nochmals an die morgige philosophische Matinee im Web über "Authentizität" erinnern. Philosophische Kenntnisse sind nicht erforderlich:
Philosophische Matinee im Web, Sonntag, den 05. März 2023, 10-12 Uhr
Es geht um "Authentizität", um wahrhaftiges, stimmiges Leben, bei dem Denken, Fühlen, Wollen und Handeln in Übereinstimmung gebracht, Entfremdungen und belastende Prägungen aufgearbeitet und überwunden sind, ein Leben aus der eigenen Mitte heraus. Ist so etwas überhaupt möglich? Wie kommen wir dahin?
Die Einwahldaten lauten:
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https://us02web.zoom.us/j/82021846717?pwd=YzBVSTI4enNkY1c0T1BQNHBVU0Mydz09
Meeting-ID: 820 2184 6717
Kenncode: 467664
Sie brauchen sich nicht anzumelden. Sie können sich einfach zuschalten. Die maximale Teilnehmerzahl beträgt 25. Ist die Zahl erreicht, werden weitere Interessenten leider nicht mehr eintreten können. Die Texte, die Grundlage unserer Diskussion sein sollen, finden Sie im Anhang.
Eine Teilnahmegebühr fällt nicht an. Über eine Spende an den gemeinnützigen Verein "MASS UND MITTE - Schule für antike Lebensweisheit" freuen wir uns. Das Spendenkonto lautet:
MASS UND MITTE
Münchner Bank eG
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Herzliche Grüße
Ihr
Albert Kitzler
Erkennt man das Ewige, so wird man duldsam und gelassen.
Ohne dieses Zitat aus dem Tao Te King (Daodejing) des Laotse zu kennen, erläutert Goethe in Dichtung und Wahrheit seinen Sinn:
„Das ist ja eben das Lehrreiche solcher sittlichen Mitteilungen, dass der Mensch erfahre, wie es andern ergangen, und was auch er vom Leben zu erwarten habe, und dass er, es mag sich ereignen, was will, bedenke, dieses widerfahre ihm als Menschen und nicht als einem besonders Glücklichen oder Unglücklichen. Nützt ein solches Wissen nicht viel, um die Übel zu vermeiden, so ist es doch sehr dienlich, dass wir uns in die Zustände finden, sie ertragen, ja sie überwinden lernen.“
Goethe hat zuvor Erfahrungen aus seiner Kindheit mitgeteilt. Man solle bedenken, dass die Erfahrung lehrt, dass alles, was geschieht, jedem zustoßen könne und dass dies kein Zeichen von besonderem Glück oder Unglück sei („dieses widerfahre ihm als Menschen …“). Das Schicksal ist immer schwankend und ungewiss. Wer diese Tatsache tief verinnerlicht und sich ganz darauf eingestellt hat, kann mit allem leben, was passiert. Er wird seine innere Ruhe und Gelassenheit bewahren („sich in die Zustände finden, sie ertragen“). Er nicht mehr Sklave, sondern Gestalter seines Schicksals sein bzw. dessen, was es mit ihm macht, er wird es „überwinden lernen“. „Der Charakter eines Menschen ist sein Schicksal“, sagte der Vorsokratiker Heraklit.
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Denn Gelassenheit und Ruhe ziemt dem weisen Manne wohl.
Die Worte stammen aus den „Bakchen“ des Tragikers Euripides. Es folgen weitere Verse zu diesem Thema:
„Denn auf die
Wahrheit bös zu sein geziemt sich nicht; …
Wer von Tage zu Tag
beglückt
Lebt, den preisen wir
glücklich. …
Ein demütges Herz
gegen das Heilge schlicht und
Ehrlich bewahren,
heißt
Leben von Schicksalsschlägen
stets ungekränkt.“
Die Sprache ist holprig, weil der Übersetzer versucht hat, den Rhythmus des Originals wiederzugeben. Die erste Zeile will sagen, dass Gelassenheit viel damit zu tun hat, sich der Wahrheit zu stellen und die Welt und die Menschen so anzunehmen, wie sie sind (ohne darauf zu verzichten, für eine Besserung und den Abbau von Missständen einzutreten). Die zweite Zeile bedeutet, dass wir die Gelassenheit häufig verlieren, weil wir zu sehr auf das Morgen fixiert sind und dadurch Sorgen und Ängste entwickeln, anstatt sich überwiegend auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die letzten Zeilen schließlich weisen darauf hin, dass eine Haltung der Demut davor schützt, sich von Schicksalsschlägen dauerhaft betrüben zu lassen. Wer demütig ist, weiß das Bittere geduldig zu ertragen und das Süße dankbar zu genießen.
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Was wir nicht meistern können, in der Stille abwarten.
Diese Empfehlung gibt Goethe in einem Brief an seinen Freund Knebel. Wer in Stille, d. h. mit innerer Ruhe, das Unverfügbare abzuwarten vermag, der bleibt gelassen. Nicht gekannt haben dürfte Goethe eine Stelle aus dem chinesischen I Ging (Buch der Wandlungen), an der es heißt:
„Wolken steigen am Himmel auf: das Bild des Wartens. So isst und trinkt der Weise und ist heiter und guter Dinge.“
Beschrieben wird eine Situation, in der ungewiss ist, ob es Regen gibt oder nicht, im übertragenen Sinne: eine unklare und unentschiedene Situation. Der Weise bleibt gelassen, ruhig und wartet auf den rechten Augenblick, um zu handeln. Gelassenheit ist auch die Kunst, geduldig und gelassen den Moment abzuwarten, der für ein wirksames, erfolgreiches Handeln der beste ist. Die Griechen nannten ihn „Kairos“. Es gilt, in ein laufendes Geschehen weder zu früh noch zu spät einzugreifen.
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Aber etwas, das den Weisen betrüben könnte, gibt es nicht.
Der Ausspruch stammt von dem chinesischen Philosophen Menzius, einem der bedeutendsten Nachfolger des Konfuzius. Zwei Sätze später heißt es:
„Und wenn er dann doch auf eines Morgens Dauer Betrübnis hätte, so ist der Edle nicht betrübt darüber.“
Gelassenheit hat viel mit der Fähigkeit zu tun, sich, die Menschen, die Welt und das Schicksal anzunehmen, wie sie sind. Das gilt jedenfalls für alles, was wir nicht beeinflussen können, und das ist das meiste. Wir akzeptieren, dass vieles, was geschieht, für uns unverfügbar ist. Unser Wunsch mag sein, alles im Griff zu haben, zu planen, vorherzusehen und zu beherrschen, nichts dem Zufall zu überlassen, alle Unsicherheiten auszuschließen. In Wirklichkeit gibt es jeden Tag Unvorhergesehenes. Wir leben im „Unversicherbaren“ (Hans Erich Nossack). Wer das begriffen und verinnerlicht hat, bleibt gelassen und geht offen und leicht durchs Leben, neugierig darauf, was geschehen wird. Ihn wird nichts „betrüben“, und wenn doch einmal, so ist er „nicht betrübt darüber“. Die Chinesen liebten paradoxe Formulierungen. Gemeint ist, dass es ihn nicht wirklich betrübt oder er schnell wieder in eine Stimmung heiterer Gelassenheit zurückfindet.
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Gelassenheit ist die Fähigkeit, loslassen zu können, nicht anzuhaften und alles Geschehen aus der Distanz zu betrachten.
Das ist der Sinn einer Stelle bei dem vietnamesischen buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh. In diesem Sinne ist die Gelassenheit, die er „Gleichmut“ nennt, eine Voraussetzung, jedes Wesen wahrhaft lieben zu können. Er schreibt:
„Das vierte Element wirklicher Liebe ist upeksha, was Gleichmut, Nicht-Anhaften, Nicht-Unterscheiden, Ausgeglichenheit im Geiste oder Loslassen bedeutet. Upa heißt »über«, und iksh heißt »schauen«. Du kletterst auf einen Berg, um dir eine Übersicht über die gesamte Situation zu verschaffen, ohne an die eine oder andere Seite gebunden zu sein. Wenn es in deiner Liebe Anhaftung, Unterscheidung, Voreingenommenheit oder Festklammern gibt, so ist das keine wirkliche Liebe.“
„Wirkliche Liebe“ ist für Buddhisten keine bedingungslose Bindung an eine Person, sondern die unterschiedslose Zuwendung zu allen Geschöpfen. Thich Nhat Hanh spricht von der „Weisheit der Gleichheit“, der Fähigkeit, „alle als gleichwertig zu erkennen, nicht zu unterscheiden zwischen uns und anderen … in die Haut der anderen schlüpfen, eins werden mit ihnen“. Wer eine solche Haltung verinnerlicht hat und seine Zuwendung unterschiedslos allen Wesen und Dingen entgegenbringen kann, der hat das Anhaften überwunden und behält seinen Gleichmut. Es gibt für ihn weder Gewinn noch Verlust, weder Sieg noch Niederlage, weder Erreichen noch Verfehlen. Er bleibt ruhig und gelassen in guten wie in schlechten Zeiten.
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Alles ist Meinung, und diese hängt ganz von dir ab.
Der Ausspruch stammt von dem Philosophenkaiser Mark Aurel. Weiter heißt es dort:
„Räume also, wenn du willst, die Meinung aus dem Wege, und gleich dem Seefahrer, der eine Klippe umschifft hat, wirst du unter Windstille auf ruhiger See in den sicheren Hafen einfahren.“
Der Seelenzustand der heiteren Gelassenheit war in der Antike in Orient und Okzident ein wesentliches Merkmal eines glücklichen Lebens. Bei den Stoikern wie Mark Aurel war das Ideal der „Unerschütterlichkeit des Weisen“ weit verbreitet. Man suchte nach einer Philosophie des Glücks, die unabhängig ist vom Zufall und Wandel der äußeren Umstände. Dabei erkannten die Stoiker, dass bei der Wahrung der Gelassenheit unseren Vorstellungen („Meinungen“) eine zentrale Bedeutung zukommt. Wie wir ein äußeres Geschehen aufnehmen, im Denken verarbeiten und bewerten, bestimmt, welche Gefühle in uns aufkommen, ob wir ruhig bleiben oder in Aufregung geraten. Häufig brauchen wir nur die Perspektive zu wechseln, um Sorgen, Ängste, Ärger und Aufgeregtheit zu vermeiden. Der Zustand der Gelassenheit bzw. Seelenruhe wurde in der abendländischen Philosophie der Antike häufig, wie auch in dem Zitat, mit dem griechischen Wort „galēnē“ umschrieben, was Wind- oder Meeresstille bedeutet. Obwohl Römer schrieb Mark Aurel Griechisch, die Sprache der Philosophie.
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
in der letzten Woche haben wir Zitate aus dem I Ging (Buch der Wandlungen) besprochen. In dieser Woche behandelten wir Aussprüche des Philosophen Lü Buwei. Zu beiden bieten wir in diesem Jahr Seminare an. Philosophische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Über das I Ging und den "Gelben Kaiser", das Grundlagenbuch zur Traditionellen Chinesischen Medizien (TCM), gibt es vom
17. bis 24. Juni 2023
im „Haus der Weisheit“ in Reit im Winkl ein Wochenseminar, in dem wir uns theoretisch und praktisch mit grundlegenden Weisheiten der ältesten chinesischen Philosophie und Gesundheitslehre befassen wollen. Wir besprechen Auszüge aus den genannten Büchern und lernen, wie sie uns dabei helfen können, in unsere Mitte zu kommen und ein glückliches, erfülltes Leben zu führen.
In praktischer Hinsicht wird uns die japanische Baletttänzerin Yuki mit der Tradition des Tai Chi und Qigong vertraut machen. Mit sanften Bewegungsübungen, langsamem Atmen und sicherem Stand wird der innere Energiefluss (Qi) angeregt und stabilisiert und stärkt so die körperliche und mentale Kraft in uns.
17. bis 24. Juni 2023 im „Haus der Weisheit“ in Reit im Winkl
Thema: Chinesische Philosophie in Theorie und
Praxis:
I
Ging – Der Gelbe Kaiser – Qigong – Tai Chi
Mit der
japanischen Bewegungslehrerin Yuki und Albert Kitzler: Geist
– Körper – Energie
Leitung: Dr. Albert Kitzler
Seminargebühr (inkl. Getränke, Tee/Kaffee, Obst): 590,- €
Unterkunft buchen TN
selbständig. Zahlreiche Unterkünfte in Hausnähe.
Unterkunftsliste: siehe Anhang
Touristinformation:
https://www.reitimwinkl.de, Tel. 08640 80020
Anmeldung: siehe Anhang
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Über das berühmte Weisheitsbuch „Frühling und Herbst des Lü Buwei“ findet im Lasalle-Haus/Bad Schönbrunn in der Schweiz in der Zeit vom
22. bis 24. September 2023
ein Wochenendseminar statt. Das Buch ist ein Kompendium altchinesischer Weisheit und hält auch für uns Heutige vielfältigen Rat bereit, wie wir unser Leben so führen und gestalten können, dass es sinnvoll, erfüllend und eine Freude ist zu leben. Lü Buwei hat im Westen nicht die Bekanntheit eines Laotse oder Konfuzius, steht diesen aber in der Tiefe und Lebenstauglichkeit der Gedanken in nichts nach.
Thema: "Lü Buwei
– Höhepunkte der chinesischen Philosophie"
Lebensweisheiten für den
Alltag
Dauer: Freitag, 18:00 h bis Sonntag, 14:00 h
Leitung:
Dr. Albert Kitzler
Seminarort: Bad Schönbrunn, Schönbrunn 3, 6313 Edlibach,
Schweiz
Unterkunft/Verpflegung/Seminargebühr: 722,-
€
Zum Seminarhaus: www.lassalle-haus.org/de/
Anmeldung: E-Mail an massundmitte@gmx.de
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Nächste philosophische Matinee im Web am kommenden Sonntag, den 05. März 2023, 10-12 Uhr
Es geht um "Authentizität", um wahrhaftiges, stimmiges Leben, bei dem Denken, Fühlen, Wollen und Handeln in Übereinstimmung gebracht, Entfremdungen und belastende Prägungen aufgearbeitet und überwunden sind, ein Leben aus der eigenen Mitte heraus. Ist so etwas überhaupt möglich? Wie kommen wir dahin?
Die Einwahldaten lauten:
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https://us02web.zoom.us/j/82021846717?pwd=YzBVSTI4enNkY1c0T1BQNHBVU0Mydz09
Meeting-ID: 820 2184 6717
Kenncode: 467664
Sie brauchen sich nicht anzumelden. Sie können sich einfach zuschalten. Die maximale Teilnehmerzahl beträgt 25. Ist die Zahl erreicht, werden weitere Interessenten leider nicht mehr eintreten können. Die Texte, die Grundlage unserer Diskussion sein sollen, finden Sie im Anhang.
Eine Teilnahmegebühr fällt nicht an. Über eine Spende an den gemeinnützigen Verein "MASS UND MITTE - Schule für antike Lebensweisheit" freuen wir uns. Das Spendenkonto lautet:
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Mit den besten Wünschen,
Ihr
Albert Kitzler
Das große Eine (Dao/Tao) erzeugt die zwei Pole (Yin und Yang) … Sind sie getrennt, so vereinigen sie sich wieder; sind sie vereint, so trennen sie sich wieder. Das ist der ewige Lauf des Himmels.
Lü Buwei stellt hier die Vorstellung der alten Chinesen von der Entstehung der Welt, dem Wandel aller Dinge und dem Prinzip des Lebens dar. Im Zusammenhang heißt es:
„Das große Eine (Dao/Tao) erzeugt die zwei Pole (Yin und Yang); die zwei Pole erzeugen die Kraft des Dunklen und des Lichten. Die Kraft des Trüben und des Lichten wandelt sich; die eine steigt in die Höhe, und die andere sinkt in die Tiefe; sie vereinigen sich und bilden die Körper, wogend und wallend. Sind sie getrennt, so vereinigen sie sich wieder; sind sie vereint, so trennen sie sich wieder. Das ist der ewige Lauf des Himmels. Himmel und Erde sind im Kreislauf begriffen. Auf jedes Ende folgt wieder ein Anfang, auf jedes Äußerste folgt eine Wiederkehr. Alles ist aufeinander abgestimmt. ... Die vier Jahreszeiten treten nacheinander hervor. Sie bringen Hitze und Kälte, Kürze und Länge, Weichheit und Härte. Das, woraus alle Wesen entstehen und ihren Ursprung haben, ist das große Eine; wodurch sie sich bilden und vollenden, ist die Zweiheit des Dunklen und Lichten.“
Alles ist Anziehung und Abstoßung, Entstehung und Vergehen, Blüte und Verfall, Ruhe und Bewegung. Alles entsteht aus Gegensätzen. Das ist die Dynamik der Lebendigkeit, die sich ständig erneuert und in Bewegung hält. „Jede Systole (hat) ihre Diastole (Zusammenziehung und Ausdehnung). Es ist die ewige Formel des Lebens, die sich auch hier äußert.“ (Goethe) Diese natürliche Bewegung reicht bis in die persönliche Lebensführung, so beispielsweise im gesunden Wechsel von vita activa (äußere Tätigkeit) und vita contemplativa (innere Sammlung), der auch mit der Ordensregel der Benediktiner, dem „ora et labora“ (bete und arbeite), angestrebt wird.
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Die wertvollste Erkenntnis ist diejenige, die die Persönlichkeit vollkommen macht.
Und weiter heißt es bei Lü Buwei:
„Man kann aber seine Persönlichkeit nicht anders vollkommen machen als dadurch, daß man lernt.“
Das kontinuierliche Lernen im Sinne einer fortschreitenden Kultivierung der eigenen Persönlichkeit im Denken, Handeln, Wollen und Fühlen ist klassisch konfuzianisch. Wer ein glückliches, erfülltes und sinnvolles Leben führen möchte, der muss an sich arbeiten: sich immer besser kennenlernen, seinen Horizont erweitern und seine Lebensweise konsequent an seinen Werten und Lebenszielen ausrichten. So wird er im Innern wie in seinen äußeren Handlungen immer mehr in seine Mitte kommen, authentisch, wahrhaftig und in sich stimmig werden. Ob ein Mensch jemals „Vollkommenheit“ erreicht, mag dahinstehen. Jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung aber erhöht die Freude am Leben und vermindert das Leiden. Das Lernen selbst soll ruhig, mit Lust und Freude und maßvoll vollzogen werden. Kurz nach dem Zitat heißt es:
„Wer sich auf den Beruf eines Lehrers versteht, der macht, daß seine Schüler Ruhe finden und fröhlich sind, Zeit haben, sich erholen können, ernst sind und streng gegen sich selbst.“
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Zur Pflege des Lebens ist nichts wichtiger, als seine Werte und die Gesetze von Maß und Mitte zu kennen und sie in seiner Lebensführung zu wahren.
Das ist der Sinn folgender Stelle bei Lü Buwei:
„Der Weise untersucht das Gleichgewicht der Kraft des Dunklen und des Lichten und unterscheidet den Nutzen aller Dinge, um das Leben zu fördern. Darum ruhen Geist und Seele in seinem Leib, und er erreicht ein hohes Lebensalter. Ein hohes Lebensalter bedeutet nicht, daß das Alter von Natur kurz wäre und künstlich verlängert werden müßte, sondern daß die von Natur gesetzten Grenzen erreicht werden. Diese von der Natur gesetzten Grenzen werden dadurch erreicht, daß man die Schädigungen fernhält.
Was bedeutet das Fernhalten der Schädigungen? Wenn zuviel Süßes, zuviel Saures, zuviel Bitteres, zuviel Scharfes, zuviel Salziges dem Körper zugeführt wird, so entstehen Schädigungen. Wenn zuviel Freude, zuviel Zorn, zuviel Trauer, zuviel Furcht die Seele umtreibt, so entstehen Schädigungen. Wenn zu große Hitze, zu große Kälte, zu große Dürre, zu große Feuchtigkeit, zuviel Wind, zuviel Regen, zuviel Nebel die Nerven aufregen, so entstehen Schädigungen. Darum ist zur Pflege des Lebens nichts wichtiger als die Kenntnis der Grundlagen ...“
Mit dem „Dunklen und Lichten“ sind Yin und Yang gemeint, die polaren und gegenläufigen Kräfte, die nach chinesischer Anschauung die Dynamik und den Gang der Welt bestimmen. „Den Nutzen aller Dinge zu unterscheiden“ heißt, zu erkennen, was im Leben wichtig und nährend ist und was nicht, d. h. die Werte, nach denen man seine tägliche Lebensführung ausrichtet. Auch hier wird erkennbar, wie wichtig die Vorstellung von einem „naturgemäßen“ Leben im Denken der alten Chinesen war: „Der Mensch hat die Erde zum Vorbild“. Die Kenntnis der Lebenswerte und der natürlichen Gesetze von Maß und Mitte ist das, was Lü Buwei die „Kenntnis der Grundlagen“ nennt.
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Die Leute im Altertum nahmen die Natur zum Vorbild. Sie hatten feste Haltungen, so dass sich ihre Lebendkraft nicht erschöpfte und sie ein langes Leben führten.
Bei Lü Buwei lesen wir:
„In alter Zeit gab es Menschen, die den Weg der Wahrheit gefunden; sie brachten ihr Leben zu einem hohen Alter. Der Töne, Farben und Leckerbissen vermochten sie sich lange zu freuen. Woher kommt das? Weil sie ihre Anschauungen früh gefestigt hatten. Sind die Anschauungen früh gefestigt, so versteht man es früh mit seinem Leben zu sparen. Versteht man es früh zu sparen, so erschöpft sich die Lebenskraft nicht. … Der Mensch verhält sich gleich wie die Natur. Alle Geschöpfe sind zwar äußerlich verschieden, aber ihren Trieben nach dieselben. Darum nahmen im Altertum die Leute, die ihre Person oder auch das Weltreich in Ordnung bringen wollten, die Natur zum Vorbild. … Darum geht das Leben der Großen und Vornehmen in der Regel auch rasch zu Ende. Aber nicht nur die Außendinge zehren an ihm, sondern er selbst schädigt sein Leben … und niemals kommt er zur Selbsterkenntnis.“
Ein „langes Leben“ haben steht bei den alten Chinesen für ein geistig-körperliches gesundes und gelingendes Leben. Es ist voller Freude. „Früh Anschauungen haben“ meint ethische Haltungen, die die eigene Persönlichkeit und das Gemeinschaftsleben wachsen und gedeihen lassen. „Mit seinem Leben sparen“ besagt, sein Leben zu pflegen und es nicht zu vergeuden. Mit „Lebenskraft“ ist der innere Energiefluss, Qi, gemeint, ein zentraler Begriff in der altchinesischen Philosophie und Heilkunde. Die „Natur zum Vorbild“ nehmen heißt, die eigene und äußere Natur zu achten und sie nicht zu schädigen, das, was Albert Schweizer die „Ehrfurcht vor dem Leben“ nannte. Ruhm, Macht, großer Besitz und eine herausgehobene Stellung in der Gesellschaft wirken dagegen eher belastend, weil man dabei „niemals zur Selbsterkenntnis kommt“.
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Der kommt nicht weiter im Leben, der sich nicht zu beschränken vermag und dadurch Maß und Mitte verfehlt.
Das ist die Ansicht Lü Buweis:
„Was aber das Leben nicht vorwärts gehen läßt, sind die Lüste. Darum beschränkt der Weise vor allem die Lüste. Ist eine Halle groß, so ist sie zu schattig, ist eine Terrasse hoch, so ist sie zu sonnig. Hat man zu viel Schatten, so bekommt man Rheumatismus; hat man zu viel Sonne, so wird man gelähmt. Das sind die Übel, die daher kommen, wenn Schatten und Sonne nicht das rechte Maß haben.“
Sich hinsichtlich der Begierden nicht bescheiden zu können, so führt Lü Buwei etwas später aus, gründet in einer selbstsüchtigen Lebensweise:
„Der Himmel beschirmt alles ohne selbstsüchtige Bevorzugung. Die Erde trägt alles ohne selbstsüchtige Bevorzugung. Sonne und Mond scheinen über alles ohne selbstsüchtige Bevorzugung. Die vier Jahreszeiten gehen ihren Gang ohne selbstsüchtige Bevorzugung. Sie wirken nach ihrer Art, und alle Wesen wachsen und gedeihen. Von Huang Di gibt es ein Wort: Bei den Tönen meide die Fülle, bei der Schönheit meide die Fülle, bei den Kleidern meide die Fülle, bei den Düften meide die Fülle, bei den Speisen meide die Fülle, bei der Wohnung meide die Fülle.“
„Fülle“ steht hier für Maßlosigkeit. Die alten Chinesen meinten, dass man von der Natur lernen könne, dass organisches Wachstum und Lebenserhaltung auf den Gesetzen von Harmonie, Maß und Mitte beruhen. Eine Kraftentfaltung, die mit einem selbstsüchtigen Verhalten der Menschen vergleichbar wäre, das die Ausgeglichenheit des Ganzen zerstört, gibt es in der Natur nicht
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Wer in sich Klarheit geschaffen hat und mit sich im Reinen ist, der trifft stets das Rechte, ohne vorher nachdenken zu müssen.
Das ist der Sinn folgender Stelle bei Lü Buwei:
„Wer dieses Leben vollendet, dessen Geist kommt in Harmonie, sein Auge wird klar, sein Ohr verständig, sein Geruch fein, sein Geschmack scharf, und alle seine Glieder werden gewandt und frei. Ein solcher Mensch findet Glauben, ohne zu reden, trifft das Rechte, ohne sich vorher zu überlegen, findet sein Ziel, ohne sich vorher zu besinnen.“
Wer zu sich selbst und in seine Mitte gekommen ist, so dass Denken, Handeln und Sprechen in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Vorstellungen kommen, der schärft auch seine Sinne, seine Gefühle und seinen Instinkt. Er braucht über seine Entscheidungen nicht mehr nachzudenken, sondern trifft aus seinem Bauch heraus die richtige. Das Ideal der Persönlichkeitsentwicklung der Samurai, der japanischen Schwertkämpfer, zielte darauf an, es dahin zu bringen, dass man in jedem Moment spontan ohne nachzudenken das Richtige tut. Wer sich gefunden hat, sein Denken und seine Sinne kultiviert hat, der kann auf sein Bauchgefühl vertrauen. Seine Werte und Haltungen sind in Fleisch und Blut übergegangen.
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Die Außendinge sind dazu da, daß man sie benützt, um durch sie das Leben zu gewinnen, nicht daß man das Leben benützt, um die Außendinge zu gewinnen.
Lü Buwei war ein Kaufmann und Politiker, der die Philosophie liebte und in einem berühmten Buch Weisheiten vieler chinesischer Denker zusammenstellte. Das Zitat stammt aus diesem Buch. Weiter heißt es dort:
„Heutzutage gibt es betörte Menschen, die vielfach unter Drangabe ihres Lebens die Außendinge zu gewinnen suchen. Damit zeigen sie, daß sie wahren Wert nicht zu schätzen wissen. Wer wahren Wert nicht kennt, nimmt das Wichtige für unwichtig und das Unwichtige für wichtig. Wer das tut, wird aber in all seinen Handlungen notwendig Mißerfolg haben.“
Eine Grunderkenntnis der antiken praktischen Philosophie in Ost und West war die Einsicht, dass die äußeren Dinge und Güter nur Mittel zum Zweck sind und dass das Wertvollste das innere Leben, der innere Reichtum ist, der ein gelingendes Leben auszeichnet. Das Leben vieler Menschen erweckt in seinem äußeren Erscheinungsbild den Eindruck, als gelte für sie das Gegenteil. Ihre ganze Kraft, Zeit, Sorge und Konzentration widmen sie dem Erwerb, Erhalt und der Steigerung äußerer Güter wie Besitz, Ansehen, Macht, gesellschaftliche Stellung etc. Auf ihr Seelenleben aber, etwa dass die „Knoten des Herzens“ gelöst werden, selbstschädige Prägungen aufgelöst, negative Affekte wie Ängste, Sorgen, Zorn, Ärger, Neid, Eifersucht etc. abgebaut und gute Anlagen, Fähigkeiten und Begabungen gepflegt und gefördert werden – auf all das verwenden sie nur wenig Zeit und Energie. Sie erkennen nicht, was wirklich wichtig für sie ist und was zweitrangig.
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Wenn du wahrhaftig bist, so hast du Licht und Gelingen. Beharrlichkeit bringt Heil.
Das 5. Doppelzeichen des I Ging steht für das Warten. Oben befindet sich das Wasser oder Abgründige, unten der Himmel oder das Schöpferische. In dem Urteil zu diesem Zeichen heißt es: „Das Warten. Wenn du wahrhaftig bist, so hast du Licht und Gelingen. Beharrlichkeit bringt Heil. Fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.“
Der Übersetzer Richard Wilhelm kommentiert die Stelle mit folgenden Worten:
„Eine Gefahr liegt vor einem, die überwunden werden muß. Schwäche und Ungeduld vermögen nichts. Nur wer stark ist, wird mit seinem Schicksal fertig, denn er kann infolge der inneren Sicherheit ausharren. Diese Stärke zeigt sich in unerbittlicher Wahrhaftigkeit. Nur wenn man den Dingen, so wie sie sind, ins Auge zu schauen vermag, ohne jeden Selbstbetrug und Illusion, entwickelt sich aus den Ereignissen ein Licht, das den Weg zum Gelingen erkennen läßt. Auf diese Erkenntnis muß entschlossen beharrliches Handeln folgen; denn nur, wenn man entschlossen seinem Schicksal entgegengeht, wird man damit fertig. Dann kann man das große Wasser durchqueren, d.h. die Entscheidung treffen und die Gefahr bestehen.“
In allen antiken Weisheitslehren finden wir den Rat, dass das beste Mittel, im schwankenden Schicksal sein Selbst zu wahren und ein gutes Leben zu führen, darin besteht, die wichtigsten Werte in sich selbst zu suchen, Selbstvertrauen zu entwickeln, sich selbst treu zu bleiben und beharrlich seinen Weg zu gehen. All das hat mit „Wahrhaftigkeit“ zu tun, d. h. mit einer authentischen und autonomen Lebensführung. „Sich selbst betrügen ist von allem das Schlimmste“, sagte Sokrates.
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Trennung ist das Los des Wanderers. Aber wer an seinem Inneren festhält und mit Demut und Dankbarkeit vorangeht, der kommt ans Ziel.
Dies scheint der Sinn des 56. Zeichens des I Gings zu sein: Der Wanderer. Dort heißt es in einer sehr verdichtenden bildhaften Sprache, die typisch ist für das I Ging:
„Der Berg steht still, oben das Feuer flammt auf und verweilt nicht. Darum bleiben sie nicht beisammen. Fremde, Trennung ist das Los des Wanderers. Das Urteil: Der Wanderer. Durch Kleinheit Gelingen. Dem Wanderer ist Beharrlichkeit von Heil.“
Da man als Wanderer auf sich gestellt ist, sind Demut und Bescheidenheit förderlich („Kleinheit“). Richard Wilhelm erklärt die Stelle wie folgt: „Wenn man gegen die anderen zuvorkommend ist, so erringt man Erfolge. Der Wanderer hat keine feste Stätte, die Straße ist seine Heimat. Darum muss er dafür sorgen, dass er innerlich recht und fest ist, dass er nur an guten Orten verweilt und nur mit guten Menschen verkehrt. Dann hat er Heil und kann unangefochten seine Straße ziehen.“
Vielleicht wollte das I Ging hier den Lebensweg des Menschen veranschaulichen, sein Dao, den „rechten Weg“. Nur wer sein Seelenleben in Ordnung gebracht hat und mit einer Haltung der Demut, Bescheidenheit und Dankbarkeit durch das ständig sich verändernde Leben geht, der wird in allem Wandel sein Selbst wahren und ans Ziel kommen. Dieses Ziel ist für die alten Chinesen bekanntlich der Weg selbst. Wer so leben möchte, sagt das I Ging weiter, der suche Menschen, Orte und Verhältnisse, die ihm guttun und die ihn nicht von sich selbst entfremden.
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Das Schöpferische bewirkt erhabenes Gelingen, fördernd durch Beharrlichkeit.
So lautet das Urteil zum ersten Doppelzeichen des I Ging, dem Schöpferischen. Konfuzius sagt dazu:
„Groß wahrlich ist die Ursprungskraft des Schöpferischen, alle Wesen verdanken ihm ihren Anfang. Und diese Kraft durchdringt den ganzen Himmel.“ „Die Wolken gehen, und der Regen wirkt, und alle einzelnen Wesen strömen in ihre Gestalt ein.“ „Der Lauf des Schöpferischen verändert und gestaltet die Wesen, bis jedes seine rechte, ihm bestimmte Natur erlangt, dann bewahrt er sie in Übereinstimmung mit dem großen Gleichmaß. So zeigt er sich fördernd durch Beharrlichkeit.“
Angedeutet wird hier, was es heißt, „naturgemäß“ zu leben und seine Bestimmung („Dao“, der rechte Weg) zu erfüllen. Wie die Natur ständig neues Leben schafft, so soll der Mensch schöpferisch leben, Dinge hervorbringen und in seinem Wirkungskreis die Welt gestalten. Die Leitidee der persönlichen Entwicklung wie des gedeihlichen Zusammenlebens ist dabei Maß und Mitte (das „großes Gleichmaß“). Dafür, dass dies gelingt, ist zum einen Beharrlichkeit erforderlich, die stetige Ausrichtung des Lebens an Werten, die den Prinzipien der Erhaltung, des Wachstums und der Harmonie entsprechen; zum anderen deren kontinuierliche Umsetzung im Denken, Sprechen und Handeln. Diese Werte können der Natur abgeschaut werden. Dazu passen zwei Aussprüche aus demselben Gedankenkreis: „Die Dauer ist die Art des Weisen“. „Der Mensch hat die Erde zum Vorbild“.
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Wer seine Bestimmung kennt und sein Leben danach einrichtet, ist zufrieden und frei von Sorgen.
Das dürfte der Sinn der folgenden schwierigen Passage aus der „Großen Abhandlung“ zum I Ging sein, ein erklärender Text, der möglicherweise von Konfuzius geschrieben wurde:
„Indem der Mensch … dem Himmel und der Erde ähnlich wird, kommt er nicht in Widerspruch mit ihnen. Seine Weisheit umfaßt alle Dinge, und sein Dao ordnet die ganze Welt. Darum macht er keinen Fehler. Er wirkt allenthalben, aber er läßt sich nirgends hinreißen. Er freut sich des Himmels und kennt das Schicksal. Darum ist er frei von Sorgen. Er ist zufrieden mit seiner Lage und ist echt in seiner Gütigkeit. Darum vermag er Liebe zu üben.“
Hier wird das Ideal eines weisen Menschen beschrieben, der die im I Ging aufgezeichneten Einsichten verstanden hat und sie als Richtschnur für sein tägliches Handeln praktisch umsetzt. Nicht in Widerspruch mit Himmel und Erde zu geraten meint eine Lebensweise, die sich im Einklang mit der Natur befindet und die Gesetze von Entstehen und Vergehen, Wachstum, Blüte und Verfall erkannt und für sich angenommen hat. Ein solcher Mensch vermag eine ruhige, fruchtbare und wohltuende Ordnung in seine Dinge und sein Leben zu bringen, sie harmonisch weiterzuentwickeln und so seine Bestimung („Dao“) zu verwirklichen. Er wahrt Maß und Mitte und meidet die Extreme („läßt sich nirgends hinreißen“). Er kann die Welt und sein Schicksal annehmen, wie sie sind, und sich daran erfreuen. So ruht er in sich und ist frei von Sorgen. Aus dieser inneren Harmonie und Stimmigkeit schöpft er Kraft und die Fähigkeit, gütig zu seinen Mitmenschen zu sein und allem mit tiefer Zugewandtheit und Liebe zu begegnen.
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Stillehalten seines Rückens, so daß er seinen Leib nicht mehr empfindet.
Das 52. Doppelzeichen des I Ging zeigt im oberen und unteren Zeichen einen Berg, was auch als Stillehalten verstanden werden kann. In dem Urteil zu diesem Zeichen heißt es:
„Stillehalten seines
Rückens,
so daß er seinen Leib nicht mehr empfindet.
Er geht in seinen Hof und sieht nicht seine Menschen.
Kein Makel.“
Richard Wilhelm weist in seinem Kommentar darauf hin, dass es darum gehe, die „Ruhe des Herzens“ zu erlangen. Anders als im Buddhismus, wo dies durch ein Abklingen jeder Bewegung angestrebt werde, sei der Standpunkt des I Ging, dass Ruhe nur ein polarer Zustand sei, der als seine Ergänzung dauernd die Bewegung habe. Gewagt ist seine Vermutung, dass der Text vielleicht „Anweisungen zur Yogaübung“ enthalte. Während ein Einfluss der indischen Praxis des Yoga auf das chinesische Denken in dieser frühen Zeit sehr zweifelhaft ist, liegt es nahe, dass auch die alten Chinesen die wohltuende Wirkung von Meditationspraktiken erkannt hatten. Wilhelm fährt fort:
„Das Zeichen ist Ende und Anfang aller Bewegung. Der Rücken wird genannt, weil im Rücken alle Nervenstränge sich befinden, die die Bewegung vermitteln. Wenn man die Bewegung dieser Rückenmarksnerven zum Stillstand bringt, so verschwindet sozusagen das Ich in seiner Unruhe. Wenn nun der Mensch innerlich so ruhig geworden ist, dann mag er sich der Außenwelt zuwenden. Er sieht in ihr nicht mehr den Kampf und das Gewühl der Einzelwesen und hat deshalb die wahre Ruhe, wie sie nötig ist, um die großen Gesetze des Weltgeschehens zu verstehen und dementsprechend zu handeln. Wer aus dieser Tiefenlage heraus handelt, der macht keinen Fehler.“
Wir finden ganz ähnliche Gedanken in der Stoa, wenn sie ihr Ideal einer „Unerschütterlichkeit des Weisen“ beschreiben.
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So wendet sich der Weise seiner eigenen Person zu und bildet seinen Charakter.
Das I Ging besteht aus 64 Doppelzeichen, die sich jeweils aus 6 Linien zusammensetzen, die entweder durchgängig oder durchbrochen sind. Je nach der Kombination dieser Linien ergeben sich andere Sinngehalte. Das 39. Zeichen bedeutet Hemmnis. Das obere Zeichen meint Wasser oder das Abgründige, das untere den Berg oder das Stillehalten. Das Bild zu diesem Doppelzeichen lautet:
„Auf dem Berg ist das
Wasser: das Bild des Hemmnisses.
So wendet sich der Weise seiner eigenen Person zu
und bildet seinen Charakter.“
In dem Kommentar von Richard Wilhelms heißt es: „Schwierigkeiten und Hemmnisse werfen den Menschen auf sich selbst zurück.“ Während der eine die Schuld „bei anderen Menschen sucht und das Schicksal anklagt, sucht der Weise den Fehler in sich selbst, und durch dieses Insichgehen wird die äußere Hemmung für ihn ein Anlaß innerer Bereicherung und Bildung.“
Wenn uns etwas misslingt, nicht planmäßig verläuft oder sich ein Unglück ereignet, so können wir in Enttäuschung, Betrübnis oder Ärger verfallen. Wir können darin aber auch eine Aufgabe oder Herausforderung sehen, an der wir wachsen und reifen. Nicht selten wird dann aus einem scheinbaren Unglück ein „Segen“. Man habe immer die Möglichkeit, so spitzt der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl den Sachverhalt zu, „eine Tragödie in einen Triumpf zu verwandeln“. Unser Charakter bestimmt unser Schicksal, sagt der Vorsokratiker Heraklit.
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Wolken steigen am Himmel auf: das Bild des Wartens.
Das chinesische I Ging, das „Buch der Wandlungen“, ist eines der ältesten Weisheitsbücher der Menschheit. Man kann es auch als Orakel benutzen, das zu bestimmten Lebensfragen Antworten gibt. Diese sind stets sehr knapp und verdichtet. Das Buch hat weltweit eine erstaunliche Wirkung entfaltet und wird auch heute noch benutzt. Konfuzius, unverdächtig für mystische Tendenzen in seinem Denken, soll es sehr geschätzt und sich lange mit ihm beschäftigt haben.
Das einleitende Zitat findet sich im Text zum 5. Doppelzeichen „Das Warten (die Ernährung)“. In dem Kommentar zu diesen Zeichen schreibt Richard Wilhelm, einer der bedeutendsten Übersetzer des I Ging: „So ißt und trinkt der Weise und ist heiter und guter Dinge. Wenn die Wolken am Himmel aufsteigen, so ist das ein Zeichen, daß es regnen wird. Da läßt sich dann weiter nichts machen als warten, bis der Regen fällt. So ist es auch im Leben, wenn ein Schicksal sich vorbereitet. Solange die Zeit noch nicht erfüllt ist, soll man nicht sorgen und durch eigenes Machen und Eingreifen die Zukunft gestalten wollen, sondern in Ruhe Kraft sammeln durch Essen und Trinken für den Leib, durch Heiterkeit und Guter-Dinge-Sein für den Geist. Das Schicksal kommt ganz von selbst, und dann ist man bereit.“
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Sieh nicht des
anderen Verstöße,
Nicht, was er tat und unterließ;
Sieh, was du selber hast getan
Und was du unterlassen hast.
Diese Mahnung Buddhas finden wir in allen Weisheitstraditionen in Ost und West. Obgleich sie jeder kennt, wird sie immer wieder missachtet. Es ist leicht, andere zu kritisieren. Häufig öffnet sich hier ein willkommenes Ventil, um angestaute Aggressionen, die aus der Unzufriedenheit mit sich selbst und dem eigenen Leben herrühren, bei anderen abzulassen. Viel mehr Mut und Aufrichtigkeit erfordert es dagegen, sich mit den eigenen Schattenseiten zu konfrontieren und auseinanderzusetzen. Viele Menschen haben Angst vor dem Unbekannten, das dabei zutage treten könnte, und vor der Unfähigkeit, damit umzugehen. Wer auf diese Weise vor sich selbst davonläuft, der kann sich nicht wahrhaft lieben und annehmen, wie er ist. Wer sich nicht lieben kann, dem fällt es schwer, andere zu lieben. Stattdessen zeigt er mit dem Finger auf sie und wirft ihnen ihre Schwächen vor.
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Was immer Eltern
einem tun
Und andere Verwandte auch:
Der Geist, der gut gerichtet ist,
Fügt einem noch viel Bess'res zu.
Keine Erziehung und Leitung durch Dritte kann die Selbstkultivierung ersetzen. Was wir lernen und von außen auf uns einwirkt, das müssen wir daraufhin prüfen, ob es zu uns passt und uns unserem Lebensziel näherbringt. Erst nachdem wir es selbst durchdacht und für gut befunden haben, sollten wir es verinnerlichen und zu einem Teil von uns selbst machen. Hinsichtlich der Erziehung und der frühkindlichen Prägungen bedeutet das, dass wir uns ihrer bewusst werden, sie vor den Richterstuhl unseres eigenen Urteils führen und je nachdem, ob wir meinen, dass sie uns guttun, behindern oder sogar schädigen, sie uns abgewöhnen, modifizieren oder durch andere Denk- und Verhaltensmuster ersetzen. Die alten Inder nannten es „die Masken aufschneiden“. Das ist Selbsterziehung. Gelingt sie uns, fügt uns der eigene „Geist … viel Bess’res zu“, wie es im Zitat Buddhas heißt.
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Durch Streben und
durch Wachsamkeit,
Zurückhaltung und Zügelung
Mach' weise man ein Eiland sich,
Das keine Flut mehr mit sich reißt.
Indem man kontinuierlich seine Persönlichkeit weiterentwickelt, achtsam diese Entwicklung begleitet und prüft, indem man ferner die inneren und äußeren Kräften, die uns vom eigenen Weg abhalten und ablenken, widersteht und in jeder Lage sich selbst treu bleibt, wird man innerlich immer stabiler und widerstandsfähiger. Das Bild des „Eilands“, das Buddha hier gebraucht, hat Ähnlichkeit mit der „inneren Burg“ der Stoiker. Beiden Bildern liegen die gleichen Vorstellungen von der Bedeutung der inneren Unabhängigkeit, Freiheit, dem Nicht-anhaften, der Resilienz und heiteren Gelassenheit für ein gelingendes Leben zugrunde.
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
am kommenden Sonntag, den 12. Februar 2023, gibt es die beiden ersten Webseminare für unseren Nachwuchs in diesem Jahr: "Philosophie für Jugendliche" (09:30-10:45 Uhr) und "Philosophie für Kinder" (11:00-12:15 Uhr). Wir setzen damit die vor zwei Jahren begonnene Reihe fort. Anhand von kurzen Sinnsprüchen (z.B. "Erkenne Dich selbst!") sollen die Kinder/Jugendlichen zum Nachdenken über Grundfragen des gelingenden Lebens angeregt werden und eine erste Einführung in das philosophische Denken erhalten. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Thema für beide Gruppen ist dieses Mal "Mut, Tapferkeit". Was bedeutet das? In welchen Situationen brauchen wir Mut? Was bringt es uns, mutig zu sein? Wovor sollten wir uns auf keinen Fall drücken? Aber ist nicht wegducken und sich drücken viel bequemer? Ist Mut, Tapferkeit nur etwas für Jungens oder auch für Mädchen?
Texte und Einwahldaten findet Ihr unten.
Sonntag, den 12. Februar 2023, 09:30 -10:45 Uhr
„Philosophie für Jugendliche“ - Altersgruppe von 14 bis 18 Jahre
Technische Voraussetzungen: Computer, Tablet oder Smartphone sowie
einen Internetzugang
Seminarbeitrag pro Teilnehmer: 10,- €
Maximale Teilnehmerzahl: 20
Anmeldung: E-Mail an massundmitte@gmx.de
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Sonntag, den 12. Februar 2023, 11-12:15 Uhr
„Philosophie für Kinder“ - Altersgruppe von 8 bis 12 Jahre
Technische Voraussetzungen: Computer, Tablet oder Smartphone sowie
einen Internetzugang
Seminarbeitrag pro Kind: 10,- €
Maximale Teilnehmerzahl: 20
Anmeldung: E-Mail an massundmitte@gmx.de
Kinder im Alter von 13 Jahren können wahlweise bei der Gruppe "Kinder" oder "Jugendliche" angemeldet werden. Die Teilnahmegebühr ist unter Angabe des Namens des/der Teilnehmers/erin auf folgendes Konto einzuzahlen:
MASS UND MITTE
Münchner Bank eG
IBAN: DE58 7019 0000 0002 5719 35
BIC: GENODEF1M01
Einwahldaten für beide Veranstaltungen:
Zum Zoom-Meeting beitreten:
https://us02web.zoom.us/j/81286357139?pwd=U0hlcCs1K1F6THFtdDdYdk9TSXM5UT09
Meeting-ID: 812 8635 7139
Kenncode: 904720
Nicht angemeldete Kinder/Jugendliche können nicht eingelassen werden.
Die Texte, die wir besprechen wollen, findet Ihr im Anhang. Ihr braucht nicht alle Texte zu verstehen. Macht Euch Gedanken darüber und versucht herauszubekommen, was die Philosophen sagen wollten. Überlegt, ob Ihr damit in Eurem Leben etwas anfangen könnt. Aber auch Eure eigenen Gedanken zu Mut und Tapferkeit können wir besprechen.
Ich freue mich über eine rege Beteiligung.
Herzliche Grüße
Albert Kitzler
Gleichwie ein Fels
aus einem Stück
Vom Winde nicht erschüttert wird,
So bringen weder Lob noch Tadel
Den Weisen je aus seiner Ruh.
Die „Unerschütterlichkeit des Weisen“ war nicht nur Teil des stoischen Lebensideals. Wie das Zitat zeigt, finden wir es auch bei Buddha. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass die häufigste Definition für „Glück“ in der Antike in Orient und Okzident die Seelenruhe oder der Seelenfriede war, ein mit sich im Reinen Sein, was wir heute innere Ausgeglichenheit nennen. In dem Wort „Zu-friedenheit“ klingt diese Vorstellung, die man auch heute noch antrifft, an. Die hohe Wertschätzung, deren sich die Gelassenheit oder „heitere Gelassenheit“ erfreut, ist auf ähnliche Vorstellungen vom menschlichen Glück zurückzuführen. Der Weise trägt seinen Wert in sich. Daher kommt sein Gleichmut gegenüber Lob und Tadel, der auf alles, was von außen kommt, erstreckt werden kann. Er ist verkörperte Resilienz und hat seine Wurzeln in der Stärke der eigenen Mitte. Diese Mitte wurde von den Stoikern mit einer „inneren Burg“ verglichen, die allen äußeren Anfeindungen standhält.
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Der Bauer leitet Wasser auf sein Feld,
Der Pfeilmacher schnitzt seine Pfeile,
Der Zimmermann bearbeitet sein Holz,
Und der Weise bezähmt seinen Geist.
Die Aufforderung, sein Denken und seine Vorstellungen zu beherrschen, finden wir in allen Weisheitstraditionen. Denn unser Denken und unsere Vorstellungen bestimmen, was wir tun und was wir sind. „Du wirst zu dem, was im Denken herrscht“, heißt es in den Upanishaden. „Im Gebrauch unserer Vorstellungen liegt die Freiheit, das Wohlbefinden, der gute Fluss des Lebens“, sagt der Stoiker Musonius Rufus. Unser Denken ist die Innenseite unseres Seins, unsere Worte und Taten, was nach außen dabei herauskommt. Die ersten Teile des achtgliedrigen Übungspfades Buddhas, seiner „Vierten edlen Wahrheit“, lauten: rechtes Denken, rechte Haltungen, rechtes Sprechen, rechtes Handeln. Philosophie und die Beschäftigung mit alten Weisheiten ist die Schulung eines hilfreichen, nährenden Denkens, das sich verinnerlichen soll, damit wir in ein Handeln und Sprechen gelangen, das niemandem schadet und uns dauerhaft guttut.
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Achtsamkeit: der Pfad
zur Todlosigkeit.
Unachtsamkeit: der Todespfad.
Die Achtsamen sterben nicht.
Die Achtlosen sind eigentlich schon tot.
Achtsamkeit ist ein zentraler Begriff im Buddhismus. Die Verse besagen, dass Leben und Lebendigkeit erst da anfangen, wo wir vollkommen präsent und mit all unseren Sinnen und unserem Gewahrsein gegenwärtig sind. Der zerstreute Mensch lebt eigentlich nicht. Er hat sich im Allerlei verloren. Er ist nicht bei der Sache, die er gerade tut, und nicht bei dem Menschen, mit dem er gerade spricht. Leben beginnt für den Buddhisten erst mit vollkommener Bewusstheit. Was wir tun, sei es auch noch so unbedeutend, sollten wir ganz und mit Hingabe tun. In der Meditation wird die Konzentration auf eine Sache geübt. Diese Fähigkeit zur Konzentration und Sammlung führt im Leben zur Verdichtung und Intensivierung des Erlebens. Sie ermöglicht stärkste Resonanz mit sich selbst, den anderen und der Welt. Resonanz ist Lebendigkeit und das Gefühl lebendiger Verbundenheit.
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Alle Dinge entstehen im Geist, sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.
So lauten die Einleitungsverse aus dem Dhammapada, einer wichtigen Verssammlung mit Lehrsätzen Buddhas. Lin Yutang nennt es eines der wenigen Meisterwerke der spirituellen Weltliteratur. Eine andere Übersetzung dieser Stelle lautet: „Die Erscheinungen werden vom Herz angeführt, vom Herz beherrscht, vom Herz hervorgebracht.“ Buddha macht bei dem Zitat Anleihen an die Upanishaden, dem philosophischen Teil der altindischen Veden, wo wir diesen Gedanken ebenfalls finden. So wie wir die Welt sehen und erleben, entstammt sie unseren Vorstellungen. „Die Welt als Wille und Vorstellung“ wird Schopenhauer sein Hauptwerk nennen. Wir können nur erkennen, sagt Kant, was unsere Gehirnfunktionen zuvor entsprechend ihrer Gesetzmäßigkeiten konfiguriert haben. Wie die Welt losgelöst von dieser Konfiguration aussieht, das „Ding an sich“, oder ob es sie überhaupt gibt, wissen wir nicht. Die radikale Konsequenz dieses Gedankens in der altindischen Philosophie ist, dass die Welt nur in unseren Vorstellungen existiert, nur ein Trugbild, nur „Maya“ ist. Auch wenn wir dem nicht zustimmen, dürfte richtig sein, dass wir die Erscheinungen der Welt stets aus einer beschränkten, häufig sehr persönlichen Perspektive sehen. Zur Weisheit gehört die Fähigkeit, dies zu erkennen und die Perspektive wechseln, verschieben und erweitern zu können.
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Sein Leben muss man so abmessen, als ob uns sowohl eine lange als eine kurze Lebenszeit beschieden sei.
Der Ausspruch stammt von Bias von Priene. Vorausschau und Vorsorge sind notwendig, aber sie sollten uns nicht daran hindern, ganz in dem gegenwärtigen Augenblick aufzugehen und das Hier und Jetzt zu genießen. Das Leben der Toren, sagt Epikur, geht mit Aufschieben dahin. Weil es ganz der Zukunft zugewandt ist, ist es voller Angst und ohne dankbares Gedenken. In der Bergpredigt sagt Christus, dass wir uns nicht um morgen sorgen sollten, da der morgige Tag für sich selbst sorgen wird. Nur wer achtsam und präsent im jeweiligen Augenblick lebt, lebt wirklich und intensiv. Je mehr wir mit unseren Gedanken woanders sind, je zerstreuter wir leben, umso weniger leben wir. Andererseits hat eine weise Lebensführung viel damit zu tun, dass wir vorausschauen und so leben, dass wir künftiges Leid vermeiden. „Siehe auf das Ende“, sagt Solon, ein anderer der Sieben Weisen. Beides zu beachten, empfiehlt uns Bias.
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Alles ist Übung.
Eine weitere Persönlichkeit, die zu den „Sieben Weisen“ gerechnet wird, war Periander. Von ihm stammt der Ausspruch „Alles ist Übung“, was manchmal auch mit „Siehe auf das Ganze!“ übersetzt wird. Das Interessante an der antiken praktischen Philosophie, nicht nur im Abendland, sondern auch in China und Indien war, dass die damaligen Denker sahen, dass es nicht allein darauf ankommt, die Werte zu erkennen, nach denen man sein Leben ausrichten sollte, um sich selbst und der Gemeinschaft Frieden, Wohlbefinden und ein glückliches Leben zu ermöglichen. Häufig wissen die Menschen, welche das sind, scheitern aber daran, sie im täglichen Leben auch umzusetzen. Es sind häufig innere Widerstände und Gewohnheiten, Denk- und Verhaltensmuster, Prägungen und äußerer Druck, die uns immer wieder davon abhalten, konsequent das Gute zu tun. Diese teilweise „irrationalen“ Seelenelemente (Aristoteles) müssen umgeformt, erzogen und „umprogrammiert“ werden. Das Mittel dazu ist Umgewöhnung, das kontinuierliche Einüben der für richtig und förderlich erkannten Denk- und Verhaltensgewohnheiten. Dies muss solange fortgeführt werden, bis die alten Muster „überschrieben“ sind und wir quasi automatisch, spontan und ohne nachzudenken das Richtige tun. Das ist gelungene Persönlichkeitsentwicklung.
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Unerfreulich ist Untätigkeit.
Diese Feststellung geht auf Thales von Milet zurück, der häufig als der erste Philosoph Griechenlands genannt wird. Offenbar hatte er erkannt, wie wichtig für ein gelingendes Leben Tätigkeit, Arbeit, Beschäftigung, das Wirken in der Welt ist. Erst wenn wir im Außen irgendetwas Sinnvolles tun, bewirken oder gestalten, spüren wir uns selbst und baut sich ein Selbstbewusstsein auf (Hegel). Wenn wir irgendetwas tun oder verändern und in der Welt eine Spur hinterlassen, sei sie auch noch so geringfügig, stellt sich eine Selbstwirksamkeitserfahrung ein, die wichtig ist für unser Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Das Getane beweist, dass wir da sind, und vermittelt uns eine Form der Anerkennung. Im Werk finden wir uns selbst. Die Welt antwortet auf unser Tun. Wir sind in Resonanz mit ihr. Für eine kurze Zeit sind wir eins geworden mit der Welt und spüren, dass wir nicht vereinzelt und allein sind, sondern ein Teil von ihr.
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Nichts im Übermaß.
Auch dieses Wort wird gleich mehreren der Sieben Weisen zugeschrieben, meistens aber dem Solon von Athen. Es besagt, dass jedes Ding sein Maß hat und die Kunst des gelingenden Lebens darin besteht, dieses Maß stets möglichst gut zu treffen und Über- und Untermaß zu vermeiden. Das Gebot des richtigen Maßes war in der griechischen Antike allgegenwärtig und von überragender Bedeutung. Aristoteles legte es seiner Tugendlehre zugrunde, indem er behauptete, dass die Tugend stets die Mitte zwischen zwei Extremen ist, also dem Zuviel und Zuwenig. Bei Platon erscheint es in der Kategorie der Gerechtigkeit, die er für grundlegend für die Regierung eines Staates sowie für den Umgang mit den eigenen Seelenkräften zur Erzielung innerer Ausgeglichenheit und Seelenruhe hielt. Er übernahm die Vorstellung des Hippokrates von der Gesundheit des Körpers, die dann gestört ist, wenn von einem der vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle) entweder zu viel oder zu wenig vorhanden ist. Das Staats- und das Seelenleben gelingt dann, wenn sich alle Kräfte in einem ausgewogenen, harmonischen Verhältnis befinden, mithin sich „im rechten Maß“ befinden und entfalten können.
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Erkenne den rechten Zeitpunkt.
Der Ausspruch wird dem Pittakos von Mytilene zugeschrieben. Er mahnt an den „Kairos“, den richtigen Augenblick. Alles hat seine Zeit sowie sein „zu früh“ und „zu spät“. Wenn etwas gelingen soll, dann ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Wann äußere ich Kritik, wann verkünde ich eine bittere Wahrheit, wann treffe ich eine Entscheidung, wann ändere ich mein Verhalten, wann nehme ich eine neue Gewohnheit an oder lege eine alte ab, wann ist die Zeit zum Arbeiten, wann zum Ruhen, wann gehe ich nach außen, wann zeihe ich mich zurück, wann ist die Zeit zum Feiern, wann zur Besinnung oder zur Trauer? Für ein gelingendes Leben ist der richtige Augenblick von großer Bedeutung. Die Griechen machten daher aus dem Kairos einen Gott, dem eine lange Locke in die Stirn fiel, während er am Hinterkopf kahl war. Wir müssen ihn an der Locke ergreifen, wenn er gerade an uns vorüberläuft. Verpassen wir diesen Augenblick, so können wir ihn nicht mehr fassen, da er am Hinterkopf er keine Haare hat.
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Erkenne Dich selbst!
Dieser Ausspruch wird mehreren der Sieben Weisen zugeschrieben, meistens aber dem Chilon von Sparta. Mit den „Sieben Weisen“ bezeichnet man herausragende Persönlichkeiten, meistens Politiker aus dem vorsokratischen Griechenland, die wegen ihrer Weisheit geschätzt wurden. Ihnen werden kurze Sinnsprüche zugeschrieben, die meistens aus nicht mehr als drei Worten bestanden und damals weit verbreitet waren. Dem „Erkenne Dich selbst!“ kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, weil Sokrates diesen Ausspruch in das Zentrum seines Philosophierens stellte. Es besagt zum einen, dass man nie vergessen sollte, dass man ein Mensch ist und als solcher beschränkt, endlich und Erbe menschlicher Schwächen ist. Zum anderen, dass man seine Seele mit allen Stärken und Schwächen möglichst gut kennen und sein Seelenleben verstehen sollte, also die Prägungen, Veranlagungen, Vorurteile, die übernommenen und selbstgeschaffenen Denk- und Handlungsmuster, seine flüchtigen und tieferen Bedürfnisse, sein Triebleben, seine Gefühlswelt, das Zusammenspiel von rationalen und irrationalen Elementen und Kräften etc. Nur wer sich kennt, kann sich steuern und ein selbstverantwortetes Leben nach eigenen Grundsätzen und Werten führen. Nur ein solcher Mensch ist frei und nicht Sklave seiner dunklen, unbekannten Seelenkräfte.
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Ein gutes Wort ist fürs Gemüt ein Heilmittel.
Menander wusste um die Kraft des Wortes. Es kann Menschen verändern, den Zorn beschwichtigen, Ängste nehmen, Sorgen vertreiben, die Stimmung umschlagen lassen oder sogar Krankheiten heilen, aber auch von allem das Gegenteil bewirken. In vielen Fällen besteht die Heilung einer Krankheit darin, dass der Arzt den Selbstheilungsprozess des Patienten anregt oder befördert. Dazu reicht es manchmal, wenn der Arzt dem Patienten einfühlsam und zugewandt zuhört und ihm mit seinen Worten Zuversicht, Mut, Vertrauen und Hoffnung zuspricht, wie der berühmte Kardiologe und Nobelpreisträger Bernard Lown in seinem lesenswerten Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“ eindrücklich darlegt. Er schreibt darin, er „kenne wenige Heilmittel, die mächtiger sind als ein sorgsam ausgewähltes Wort“. Schon bei Sokrates finden wir den Satz, man müsse den Kindern die Angst vor dem Tod dadurch nehmen, dass man ihnen „jeden Tag“ passende „Zaubersprüche“ vortrage, wobei er Weisheiten im Umgang mit dem Tod gemeint haben dürfte. Noch älter ist eine Stelle bei dem griechischen Tragiker Aischylos, wonach „Worte tüchtige Ärzte“ seien. An anderer Stelle schreibt Lown: „Wenn ich aber so darüber nachdenke, was die alten Griechen schon alles von Charakter und Persönlichkeit begriffen haben, frage ich mich, ob wir tatsächlich in unserem Verständnis der Menschheit so viel weiter gekommen sind.“
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Des Menschen Art erkennt man an seiner Rede.
Für „Des Menschen Art“ steht bei Menander das griechische Wort „charaktēr“, das auch mit „Wesen“ oder „Eigenart des Menschen“ übersetzt werden kann. Unser Wort „Charakter“ ist also altgriechisch. In der Art, wie wir sprechen, welche Worte wir benutzen, wie der Redefluss ist, die Betonung, die Melodie, die Laustärke, in all dem kommen unser Denken, unsere Werte und unsere Haltungen zum Ausdruck. Wer daher achtsam und einfühlsam zuhört, lernt sein Gegenüber kennen. Der Zusammenhang des Sprechens mit dem Ganzen der Persönlichkeit kommt in einem bekannten Zitat zum Ausdruck, das wir aus dem Altindischen kennen und das bisweilen dem Talmud zugeschrieben wird: „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worte, achte auf deine Worte, denn sie werden zu Taten, achte auf deine Taten, denn sie werden zu Gewohnheiten, achte auf deine Gewohnheiten, denn sie sind dein Charakter, achte auf deinen Charakter, denn der ist dein Schicksal.“ So wie wir denken und sprechen, so sind wir und so wird unser Schicksal sein. Denn das Schicksal ist nicht nur das äußere Geschehen, sondern wie wir dieses verarbeiten und was wir daraus machen. Bei dem griechischen Philosophen Heraklit finden wir daher den Satz, unser Charakter sei unser Schicksal.
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
ich möchte nochmals auf die am kommenden Sonntag, den 29. Januar 2023, 10-12 Uhr, stattfindende philosophische Matinee im Web mit mir als Interview- und Diskussionspartner hinweisen. Thema ist "Liebe und Lebensfreude". Das Thema ist Gegenstand meines neuen Buchs "Die Weisheit der Liebe. Eine Philosophie der Lebensfreude", das im April erscheinen wird. Hier die Ankündigung von Nadine, die diese Matinee veranstaltet (www.nomadicspace33.com):
"Die philosophische Matinee besteht aus zwei Teilen. Die erste Stunde werde ich mit Dr. Kitzler im Gespräch sein und ihn einladen, zu einigen Punkten rund um das Thema 'Liebe und Lebensfreude' Stellung zu nehmen. Der zweite Teil der Matinee wird die Form eines Open Space haben, in dem TeilnehmerInnen Fragen stellen oder Gesagtes kommentieren können.
Anmeldung und Fragen an nomadicspace33@gmail.com oder +0043 680 5040562.
Der Beitrag für das Event beträgt zwischen EUR 10
und EUR 20, das heißt Du kannst selbst entscheiden, welchen Beitrag du
gern geben möchtest."
Ich freue mich über eine rege Beteiligung.
Herzliche Grüße
Euer
Albert Kitzler
Erziehung ist es, die am Ende alle zähmt.
Dieser Ausspruch Menanders dürfte sich auf die Erziehung der Kinder, aber auch auf die Selbsterziehung des erwachsenen Menschen beziehen. Nicht nur Kinder müssen lernen, ihre seelischen Kräfte in den Griff zu bekommen und zu steuern, um „Herr im eigenen Haus“ zu werden und ihr Leben später aus der eigenen Mitte heraus entsprechend ihren ganz eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Dies ist eine lebenslange Aufgabe. Solange wir noch nicht frei sind von belastenden, leidvollen Affekten wie Zorn, Ärger, Wut, Angst, Sorgen, Neid, Eifersucht, Missgunst, Unausgeglichenheit, innere Unruhe, übermäßige Trauer etc., solange wir wesensfremde Prägungen und Fremdeinflüsse noch nicht erkannt und aufgearbeitet haben gibt es immer etwas zu tun, um seelisches Leiden und Unwohlsein zu reduzieren und die Lebensfreude zu mehren.
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Um zu ermahnen, sind wir alle klug genug.
Eine etwas wörtlichere Übersetzung dieses Ausspruchs Menanders könnte lauten: „Wir alle sind Weise, wenn es ans Ermahnen geht.“ Alle Weisheitstraditionen der Antike haben bemerkt, dass wir schnell bei der Hand sind mit Kritik, Herabsetzung oder Verurteilung anderer, uns aber schwer tun, uns aufrichtig und schonungslos Rechenschaft über unser eigenes Verhalten zu geben. Dabei ist genau das der Anfang des Philosophierens, d. h. des guten und gelingenden Lebens, wie ein griechischer Philosoph bemerkte. Denn dieses beruht auf kontinuierlicher und fortschreitender Selbstkultivierung, mithin auf dem Abbau von Fehlern und schlechten Gewohnheiten und wachsenden Lebensweisheit. Es ist nicht nötig, ständig die gleichen Fehler zu wiederholen oder sich den besseren Einsichten zu verschließen, die aus zunehmender Lebenserfahrung geschöpft werden können. Aber dazu müssen wir das Gelernte auch umsetzen.
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Den schlechten Menschen verfolgt das Unglück selbst im Glück.
Einen „schlechten“ Charakter zu haben ist Ausdruck eines ungelösten innerseelischen Problems oder Defizits, einer „Seelenkrankheit“, wie die alten Griechen sagten. Zwar mag z.B. der rücksichts- und skrupellose Egoist in äußeren Dingen „Erfolg“ haben und sich gegenüber anderen durchsetzen. Aber weder löst er damit seine inneren Probleme noch befriedigt er seine tiefste Sehnsucht, nämlich die nach wärmender, nährender, tragender und erfüllender Gemeinschaft, mit anderen Worten: die nach Liebe und verbindender Resonanz. Diese Sehnsucht ist ihm häufig gar nicht bewusst. So gerät er ich immer weiter in seelische Armut und emotionale Isolation. Das dürfte die Erkenntnis sein, die sich hinter dem zitierten Ausspruch des Menander verbirgt.
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Undankbar ist, wer, wenn’s ihm gut ergeht, vergisst.
Manchen Menschen steigt der Erfolg zu Kopf. Geht es ihnen gut, halten sie ihr Glück für selbstverständlich; fällt ihnen unverhofft etwas zu, denken sie, es verdient zu haben; für Wohltaten vergessen sie den Dank. Geht es aber einmal schlecht, da sind der Ärger und das Wehklagen groß. Solchen Menschen fehlt das Bewusstsein für die Fragilität und Vergänglichkeit von allen Dingen und Verhältnissen sowie für die Launenhaftigkeit des Schicksals. In maßloser Selbstüberschätzung haben sie nicht gelernt, dass morgen alles ganz anders sein kann. Es mangelt an Demut, Bescheidenheit und Dankbarkeit, die eine reiche Quelle der Lebensfreude sind und einen gegen Schicksalsschläge resilient machen. An all das dürfte Menander gedacht haben, als er den einleitenden Vers dichtete. Der chinesische Philosoph Menzius drückte es einmal so aus: „Der Weise vergisst nie, dass er eines Tages in einem Straßengraben enden kann.“
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Du bist ein Mensch, so denk allein, was menschlich ist!
Der bis heute bekannte Ausspruch „Nichts Menschliches ist mir fremd“ stammt von dem römischen Komödiendichter Terenz. Man vermutet aber, dass er ihn aus einer verloren gegangenen Komödie des griechischen Dichters Menander übernommen hat, von dem er stark beeinflusst war. Dieser lebte 150 Jahre vor ihm. Er schrieb über 100 Komödien, von denen aber nur eine einzige nahezu vollständig überliefert ist, weitere nur in Bruchstücken. Eines dieser Bruchstücke ist das einleitende Zitat. Dazu passt ein weiteres: „Dass du ein Mensch bist, sei dir jeder Zeit bewusst!“ Menander rät zum einen davon ab, über Dinge nachzudenken, die nicht zur menschlichen Lebenswelt gehören. Vielleicht meinte er, dass wir dazu nicht die angemessenen Erkenntnismittel haben, dass wir also nur erkennen können, wozu uns unser spezifisch menschlicher Wahrnehmungs- und Denkapparat befähigt. Darüber hinauszudenken sei fruchtlose Spekulation. Das würde an den Ausgangspunkt der Kantschen Vernunftkritik erinnern. Zum anderen ruft uns Menander dazu auf, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind, insbesondere ihre Schwächen zu verstehen und zu erkennen, dass auch wir nicht frei von solchen Schwächen sind. Das macht uns milde, verständnisvoll und bereit zu verzeihen. Eine solche Haltung vermeidet Ärger und Zorn über Dinge, die „doch nur allzumenschlich sind“, und fördert so unsere Gelassenheit.
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
vor etwa 120 Jahren wurde in Delphi eine gut erhaltene Bronzestatue eines Wagenlenkers gefunden, eine von nur sieben erhaltenen Originalbronzestatuen aus dem alten Griechenland. In der vergangenen Woche habe ich versucht, Ihnen die Bedeutung des Bildes vom Wagenlenker für die Lebensführung näher zu bringen. Im Museumsladen des Archäologischen Nationalmuseums in Athen sah ich vor drei Jahren eine originalgetreue Kopie des Wagenlenkers, die für 5.000 € zzgl. Transportkosten (ca. 1.400 €) käuflich zu erwerben ist (Größe ca. 1,80 m).
Im "Haus der Weisheit" in Reit im Winkl gibt es in dem Raum, in dem die Symposien (gemeinsame Essen) stattfinden, einen kleinen Sockel. Auf diesem würde der Wagenlenker den Raum aufs Schönste schmücken und versinnbildlichen, was wir von den antiken Weisheitstraditionen lernen können. Einige Freunde der Schule haben durch Spenden den Grundstein für den Erwerb dieser Skulptur gelegt. Wer sich an den Kosten für die Anschaffung und den Transport des Wagenlenkers beteiligen möchte, kann dies durch eine Spende auf folgendes Konto tun:
MASS UND MITTE
Münchner Bank eG
IBAN: DE58 7019 0000 0002 5719 35
BIC: GENODEF1M01
MASS UND MITTE ist ein anerkannter gemeinnütziger Verein, so dass die Spenden steuerlich absetzbar sind. Bei Spenden bis 200 € reicht dafür der Überweisungsbeleg. Für höhere Spenden sende ich gerne eine Spendenquittung zu.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Albert Kitzler
Das Handeln des Menschen besteht darin, die Yin- und Yang-Kräfte nutzend zu durchdringen und dadurch Werke zu schaffen.
Der chinesische Philosoph Wang Fu sieht die Aufgabe des Menschen darin, die in ihm selbst vorhandenen polaren Kräfte nach dem Vorbild der Natur in einen Ausgleich zu bringen. Unter anderem bedient auch er sich der Metapher des Wagenlenkers, wenn er schreibt:
„Der Himmel nimmt seinen Ursprung im Yang – im männlichen Prinzip; die Erde nimmt ihren Ursprung im Yin – im weiblichen Prinzip; der Mensch nimmt seinen Ursprung im harmonischen Zusammenstrom der Kräfte von Himmel und Erde. Diese drei Wesenheiten haben verschiedene Wirkungsweisen, und doch erfüllen sie ihre Aufgaben in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander … Das Handeln des Menschen besteht darin, die Yin- und Yang-Kräfte nutzend zu durchdringen und dadurch Werke zu schaffen. Dass der Mensch in seinen Handlungen die Kräfte von Himmel und Erde in Bewegung zu versetzen vermag, könnte man beispielsweise so auffassen wie das Lenken eines Viergespanns oder das Steuern eines überdachten Schiffes. Wird der Mensch auch von dem Fahrzeug getragen, vom Dach des Schiffes überdeckt, wie Erde und Himmel ihn tragen und überdecken, so hängt es doch von ihm ab, wohin der Wagen oder das Schiff fährt … Darum heißt es auch im ‚Buch der Dokumente’: Die Taten des Himmels werden stellvertretend vom Menschen getan. Das bedeutet, dass der Mensch durch ein richtiges Ordnen seiner Angelegenheiten die Harmonie der Kräfte des Himmels bewirken und dadurch verdienstvolle Werke vollbringen kann…“
Wie in der Natur so arbeiten auch in unserer Seele polare Kräfte, die notwendig zu aller Lebendigkeit gehören. Sie ermöglichen Bewegung, Entwicklung, Wachstum, Reife, Entstehen und Vergehen. Andernfalls gäbe es nur Starre und Tod. Aber wir müssen diese mächtige innere Bewegung austragen und aushalten. Hier nicht die Kontrolle zu verlieren und zum bloßen Spielball dieser Kräfte zu werden, verlangt eine beherzte, entschlossene, weise und kraftvolle Selbststeuerung. Dann aber kann dieser „Kampf“ zu einem Fest der Freude werden, so dass wir am Ende sagen, das Leben war schön. Dann werden wir erhobenen Hauptes von dieser Welt gehen … wer weiß schon wohin.
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Wenn du kühn im Wagen stehst und vier neue Pferde wild unordentlich sich an deinen Zügeln bäumen, du ihre Kraft lenkst, den austretenden herbei, den aufbäumenden hinabpeitschest, und jagst und lenkst und wendest, peitschest, hältst und wieder ausjagst, bis alle sechzehn Füße in einem Tackt ans Ziel tragen – das ist Meisterschaft.
Der Satz findet sich in einem Brief des 23-jährigen Goethe an Herder. Auch Goethe mochte dieses eindringliche Bild von der Beherrschung und Steuerung der wilden Pferde der eigenen Seele. Es klingt hier drastisch, fast martialisch. Aber insbesondere in seinen jungen Jahren hat Goethe es manchmal unter großem seelischen Schmerz durchlitten und wusste, wie schwer dieser Kampf sein kann. Parallelen drängen sich auf zu der allegorischen Deutung des Kriegs Arjunas gegen seine eigenen Verwandten in dem indischen Nationalepos Mahabharata oder der Tötung der Freier durch den heimgekehrten Odysseus, der einen letzten fürchterlichen Kampf bestehen muss, um sein Eigenstes, seine Frau und Familie, zurückzuerobern und wieder „Herr im eigenen Haus zu werden“.
Goethe verwendet dieses Bild gleich mehrmals in seinem literarischen Werk. So lauten die Schlussworte von „Dichtung und Wahrheit“:
„Kind, Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts, als mutig gefasst, die Zügel festzuhalten, und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da die Räder abzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.“
Wer sich selbst erkennen und leben will, der braucht tiefe, aufrichtige Blicke in die eigene Seele und starke Selbststeuerungskräfte: Mut, Entschlossenheit, Selbstvertrauen und Beharrlichkeit.
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Wenn der Geist undiszipliniert ist, laufen die Sinne hierhin und dorthin wie wilde Pferde.
Auch im alten Indien stoßen wir auf das Bild des Wagenlenkers zur Verdeutlichung des Verhältnisses von sinnlichen Begierden und den Selbststeuerungskräften. In den Upanishaden, dem philosophischen Teil der Veden, finden wir nachfolgende Stelle. Zuvor wird zwischen dem Ego, das ganz den sinnlichen Lüsten verfallen ist, und dem Selbst unterschieden:
„Verstehe
das Selbst als den Herrn des Wagens,
den
Körper als den Wagen selbst,
den
urteilsfähigen Verstand als Wagenlenker
und den
Geist als die Zügel.
Die
Sinne, sagen die Weisen, sind die Pferde;
eigennütziges
Begehren sind die Strecken, die sie zurücklegen.
Wenn
das Selbst, der Atman, mit dem Körper, dem Geist
und den
Sinnen verwechselt wird – so heben Sie hervor –,
scheint
er Lust zu genießen und Kummer zu erleiden.
Wenn
jemandem Urteilsvermögen mangelt
und
sein Geist undiszipliniert ist, laufen die Sinne
hierhin
und dorthin wie wilde Pferde.“
„Atman“ ist nach indischer Auffassung der Gott oder das Göttliche in der eigenen Seele. In dem Zitat klingt die Philosophie des Yoga an. Das Sanskritwort Yoga leitet sich ab von yuga „Joch“ und hat die Bedeutung von anjochen, zusammenbinden, anspannen und anschirren („yuj“). Ein wichtiges Ziel des Yoga ist die Beherrschung von Körper und Geist.
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Ein guter Lenker ordnet seine Haltung und faßt die Zügel zusammen, bringt die Kraft der Pferde ins Gleichgewicht und den Willen der Pferde in Harmonie und das Gespann geht nur dahin, wohin er es lenkt.
Die Worte stammen aus dem „Buch der Riten, Sitten und Gebräuche“ (Liji), einem der wichtigsten Weisheitstexte aus dem alten China, der stark konfuzianisch geprägt ist oder sogar von ihm selbst aus älteren Quellen zusammengestellt und redigiert wurde. Weiter heißt es dort:
„Und wenn er auch einen langen Weg nimmt und eine weite Reise macht, er kommt an, und er kann sie lenken, so schnell er will. … Die Wagenlenker haben alle Pferde und Wagen, aber manche machen tausend Meilen, manche ein paar hundert Meilen. Sie unterscheiden sich darin, ob sie vorwärts- oder zurückkommen, langsam oder schnell vorankommen.“
Der Text bezieht sich in erster Linie auf die Art, wie ein Staat geleitet werden sollte. Vieles spricht aber dafür, dass auch die persönliche Lebensführung gemeint ist. Je besser der Mensch seine innerseelischen Kräfte, Emotionen und Energien, die positiven, freudvollen, kreativen wie die negativen, leidvollen, hemmenden beherrscht, lenkt und für seine Lebensziele einzusetzen vermag, umso reifer wird seine Persönlichkeit. Entscheidend ist der Grad der innerseelischen Ausgeglichenheit (die Harmonie von Pferden und Lenker) und der Fähigkeit, sein eigener Wagenlenker zu sein, um mit Sigmund Freud zu sprechen: „Herr im eigenen Haus“ zu werden.
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Der Engel in der Brust muss wachsen, das vielköpfige Ungeheuer in einem aber gezähmt werden.
Platon entwarf ein berühmtes Bild von der Seele und deutete an, wie man mit ihr umgehen sollte, wenn man ein glückliches Leben führen wolle. In einem Dialog heißt es:
„So stelle dir die Gestalt eines mannigfach zusammengesetzten und vielköpfigen Ungeheuers vor, das rundum Köpfe von teils zahmen, teils wilden Tieren hat, und dabei im Stande ist, sich in alle diese Tiere zu verwandeln und auch alle diese Tiere aus sich zu erzeugen. ... Wolle man gerecht handeln, so müsse man in Tat und Wort sich so betragen, dass dadurch der Engel der Brust immer kräftiger werde und dass auf die Zähmung jenes vielköpfigen Ungeheuers viel Sorgfalt verwendet werde, indem man dem Ackerbauer gleich die guten Triebe nährt und pflegt, die wilden am Emporwuchern hindert, mutig und entschlossen für die Bildung aller Seelenbestandteile zusammen Sorge trägt, sie untereinander sowohl wie mit sich selbst befreundet und in diesem Zustand erhält.“
In seinem Hauptwerk, der „Staat“, aus dem das Zitat stammt, weist er auf die Parallelen hin, die zwischen einem gut geführten Staat und dem richtigen Umgang mit den eigenen Seelenkräften bestehen. Glücklich wird das Leben dann, wenn man sich selbst gerecht wird und die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse und Kräfte in der Seele in einen harmonischen Ausgleich bringt. Unter ihnen darf es weder Zwiespalt noch ungelöste Konflikte geben. Man muss sich annehmen, wie man ist, aber jedem „Seelenteil“ nur soviel Raum im Leben geben, dass „Seelenfrieden“ herrscht und man sich „in seiner Haut wohl fühlt“. Dazu muss man das Übermütige in einem zähmen, das Zaghafte aber antreiben. Den Talenten, Begabungen und wohltuenden Impulsen muss man nachgehen, die negativen, belastenden und schädlichen Affekte aber beherrschen und möglichst klein halten.
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Der Gewöhnungsprozess geht vor sich vermittels häufigen, in bestimmter Art erfolgenden Bewegtwerdens.
So beschreibt Aristoteles das Einüben und Verinnerlichen von praktischen, „ethischen“ Tugenden, die in erster Linie in einer Tätigkeit oder einem Verhalten bestehen, wie das gerechte, besonnene und fürsorgliche Handeln. („Verstandestugenden“ wie Vernunft und Weisheit lernen wir dagegen durch Belehrung.) Wie sein Lehrer Platon in seinem Bild vom Wagenlenker, ging Aristoteles davon aus, dass man diese Tugenden nur erwerbe, indem wir die „irrationalen Seelenelemente“ (die Pferde) durch häufiges Einüben dahin bringen, dass sie ohne weiteres der Vernunft (dem Wagenlenker) gehorchen. Das war für Aristoteles Charakterbildung, denn der Charakter sei zum größten Teil die Summe der Gewohnheiten eines Menschen:
„Daher soll gelten: der Charakter ist eine Beschaffenheit des irrationalen Seelenelementes, das in der Lage ist, nach Maßgabe des befehlenden rationalen Seelenelements ( Vernunft) dem Rationalen zu folgen.“
Eine tugendhafte, gute und weise Lebensführung, die zu einem glücklichen Leben führt, ist uns nach Aristoteles nicht von der Natur mitgegeben, sondern wir müssen sie uns durch Selbsterziehung und Selbstkultivierung erst erwerben. Wir machen uns zu guten Menschen, indem wir das Gute, Richtige und jeweils Angemessene tun und immer wieder tun, bis daraus eine feste innere Haltung geworden ist. So werden wir ein erfülltes, sinnvolles und glückliches Leben führen.
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Da kommt es ihr (der Denkkraft) zu, nunmehr wie ein Wagenlenker das Gespann der zusammen aufgewachsenen Rosse, der Begierde und des Gefühls, zu regieren und zu beherrschen.
Der Stoiker Poseidonios nimmt hier ein altes Bild auf, das wir zuerst bei dem griechischen Dichter Pindar und dann in philosophischer Bedeutung bei Platon finden. Danach entspricht es der Weisheit, dass die Vernunft, wie ein Wagenlenker seine Rosse, die irrationalen Seelenteile, Gefühle, Begierden und Triebe zügelt und lenkt, um sie davon abzuhalten, uns zu schädigen. Denn wenn wir jedem inneren Impuls ungeprüft folgen, werden wir leiden. Wenn wir dagegen unsere Seelenkräfte beherrscht steuern, werden sie uns zu nachhaltiger Freude und zur Erfüllung unserer Anlagen führen, d.h. zu einem Leben, dass wir als sinnvoll und beglückend empfinden, weil wir ganz uns selbst und aus unserer eigensten Mitte heraus leben. Poseidonios fährt fort:
„Sie (Pferde, d. h. Begierde und Gefühle) sollen weder zu stark noch zu schwach, weder zu langsam noch zu stürmisch, nicht unfolgsam, zügellos und übermütig, sondern willig werden, in allem dem vernünftigen Denken zu folgen und zu gehorchen. Die Erziehung hierzu und die sittliche Tüchtigkeit beruht auf der Erkenntnis der Natur der Dinge wie die des Wagenlenkers auf der Theorie des Wagenlenkens. Denn in den unvernünftigen Kräften der Seele kann kein Wissen entstehen, sowenig als in den Rossen, sondern diesen wird die Ihnen eigene Tüchtigkeit durch eine Art unbewusster Gewöhnung zuteil, dem Wagenlenker dagegen durch vernünftige Belehrung.“
Dass wir die irrationalen Seelenteile nur durch „eine Art unbewusster Gewöhnung“ steuern und lenken können besagt, dass wir die richtige Einsicht nur nach einem Prozess des kontinuierlichen Einübens auch umsetzen und leben. Nur wenn wir eine Einsicht lange genug eingeübt haben, wird sie verinnerlicht und zu einer festen Gewohnheit und Haltung, zu einem Denk- und Handlungsmuster. So werden wir in jedem Moment danach handeln, ohne dass wir darüber noch einmal nachdenken müssen. Die Einsicht ist in „Fleisch und Blut“ übergegangen. Das verdanken wir dem Wagenlenker in uns, der Vernunft und Weisheit.
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Mein Guter, bleibe mit dir selbst nicht unbekannt, verfalle nicht in den Fehler, den die meisten machen!
Sokrates, von dem die Mahnung stammt, fährt fort:
„Denn die große Menge neigt dazu, die Leistungen der anderen zu beobachten und vergisst dabei, sich selbst zu prüfen. Versäume also das ja nicht, sondern strenge dich vielmehr an, auf dich selbst achtzugeben.“
Die Achtsamkeit auf sich selbst und die Sorge um eine ausgeglichene und – wie die Griechen sagten – „schöne“ Seele, die mit sich im Reinen ist und die Werte für ein gutes und glückliches Leben verinnerlicht hat, waren die zentralen Forderungen der sokratischen Ethik. Sokrates war überzeugt davon, dass man auch für die Gemeinschaft und für ein friedliches und fürsorgliches Miteinander nichts Besseres tun könne. Denn aller Friede im kleinen Kreis wie in der Welt geht von dem Frieden und dem Wohlbefinden in der Seele des Einzelnen aus. Herrschen in seinem Innern Streit und ungelöste Konflikte, kommt auch das Miteinander nicht zur Ruhe. Konfuzius und Buddha waren nicht die einzigen, aber die prominentesten Denker der Antike, die hierin mit Sokrates übereinstimmten.
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Reich möge mir dünken, wer weise ist. An Goldes Last nur so viel, wie ich gemütlich zu tragen vermag.
Bei Platon lesen wir folgendes Gebet des Sokrates:
„Lieber Pan du, und alle ihr anderen Gottheiten dieser Stätte, möchtet ihr mir verleihen schön zu werden im Innern; und dass all mein äußerer Besitz den inneren Eigenschaften nicht widerstreitet. Reich möge mir dünken, wer weise ist. An Goldes Last möge mir soviel zuteil werden als nur eben der Verständige zu heben und zu tragen vermöchte.“
„Schön zu werden im Innern“ meint, dass man sein Seelenleben aufräumt und von negativen Affekten reinigt. Schönheit steht für richtige Proportion und rechtes Maß, der „goldene Schnitt“ quasi, der die häufig gegenläufigen Seelenkräfte in eine friedliche Harmonie bringt, „untereinander befreundet macht“, wie Platon sich an anderer Stelle ausdrückt. Wir würden heute von innerer Ausgeglichenheit, Seelenruhe oder einer Grundstimmung heiterer Gelassenheit sprechen. Sie entsprach der griechischen Vorstellung von einem gesunden und glücklichen Seelenzustand. Der zweite Teil des Zitats besagt, dass großer Besitz ein Hindernis sein kann, eine solche Seelenruhe zu erlangen. Zuträglicher ist Bescheidenheit.
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Glücklich ist, wer gemeinsam mit Freunden die Weisheiten der Alten liest und mit ihnen darüber spricht.
Das war offenbar die Meinung des Sokrates. In seinen „Erinnerungen an Sokrates“ gibt sein Schüler Xenophon folgende Worte seines Lehrers wieder:
„»Wie sich ein anderer an einem guten Pferd oder Hund oder Vogel freut, so freue ich mich noch viel mehr an guten Freunden. Habe ich etwas Gutes gefunden, so belehre ich sie, und ich empfehle sie anderen, bei denen sie nach meiner Auffassung für ihre Jugend gewinnen können. Auch die Kostbarkeiten der früheren weisen Männer, welche jene schriftlich hinterlassen haben, rolle ich mit den Freunden zusammen auf, und ich gehe sie durch, und wenn wir etwas Gutes sehen, nehmen wir es heraus; wir halten es für einen großen Gewinn, wenn wir so einander befreundet werden.« Als ich (Xenophon) dies hörte, schien mir Sokrates glücklich zu sein und auch die Zuhörer zum Schönen und Guten hinzuleiten.“
Dass sich Sokrates nur auf die Schriften weiser Männer bezieht, liegt daran, dass es zu dieser Zeit – soweit bekannt – keine Bücher weiser Frauen gab. Weise Frauen dagegen gab es sehr wohl. So gibt Sokrates an anderer Stelle wieder, was er von der „weisen Diotima aus Mantineia“ gelernt hat. Bemerkenswert ist ferner, dass in der Mythologie der Griechen die Weisheit von zwei weiblichen Gottheiten personifiziert wird: Die eine war die Metis, die dem Zeus, nachdem er sie aufgefressen (d.h. verinnerlicht) hatte, aus dem Bauch heraus weise Ratschläge erteilt. Die zweite, Pallas Athene, entsprang dem Kopf des Zeus, „vollgerüstet“, wie es heißt. Damit dürfte gemeint sein, dass neben dem Bauch das Denken eine Quelle der Weisheit ist. Gut gerüstet schützt es vor den Widrigkeiten und Anfeindungen des Lebens.
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Erkenne Dich selbst!
Nachdem dieser Ausspruch schon lange in der Vorhalle des Apollontempels in Delphi eingraviert war, um die Gläubigen an ihr beschränktes Menschsein zu erinnern und zur Demut anzuhalten, rückte Sokrates diesen Ausspruch in das Zentrum seines Philosophierens. Zur Begründung sagte er:
„Ist es nicht offensichtlich, dass die Menschen am meisten Gutes dadurch erfahren, dass sie sich selber kennen, am meisten Schlechtes aber dadurch, dass sie sich in sich selbst täuschen? Denn die, welche sich selber kennen, wissen, was für sie gut ist, und sie können unterscheiden, was sie bewältigen können und was nicht. Indem sie sich mit dem befassen, was sie verstehen, befriedigen sie ihre Bedürfnisse, und es geht ihnen gut; indem sie auf das verzichten, was sie nicht verstehen, unterlaufen ihnen keine Fehler und sie geraten nicht in eine missliche Lage. Indem sie deshalb auch die anderen Menschen richtig einzuschätzen vermögen, verschaffen Sie sich mit ihrer Hilfe gute Dinge, und sie hüten sich vor den schlechten. Diejenigen aber, welche sich nicht selbst kennen, sondern sich in ihrer Brauchbarkeit täuschen, verhalten sich dementsprechend gegenüber den andern Menschen und den menschlichen Dingen, und sie wissen nicht, was sie nötig haben, noch was sie tun sollen, noch wen sie in Anspruch nehmen sollen, sondern sie täuschen sich in allem, sie verfehlen das Nützliche und geraten ins Übel.“
Als ein Beispiel für den Nutzen der Selbsterkenntnis nennt Sokrates u.a., dass man erkennt, was man „bewältigen“ kann und was nicht. Wie relevant dies bis zum heutigen Tag ist, sieht man daran, dass nicht wenige Menschen krank werden, weil sie sich ständig mehr aufbürden, als ihrer mentalen und körperlichen Gesundheit und ihrem Wohlbefinden zuträglich ist.
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Es gibt kein größeres Gut als das Wissen (die Einsicht in das Wesen des Guten) und, wo dieses vorhanden ist, da siegt es über die Lust und über alles andere; ihr aber behauptet, die Lust besiege oft auch den wissenden Menschen.
Mit „Lust“ ist eine solche gemeint, die am Ende mehr schadet als nutzt. Sokrates war der Auffassung, wenn man etwas wirklich wisse, dann handele man auch danach. Dieser „Intellektualismus“ wurde bereits in der Antike kritisiert. Sokrates hatte aber ein Wissen im Blick, das so sehr verinnerlicht und in „Fleisch und Blut“ übergegangen ist, dass es selbstverständlich ist, auch so zu handeln. Jeglicher innerer und äußerer Widerstand trete hinter einem solchen Wissen, das mit fester Entschlossenheit und Durchsetzungswillen verbunden ist, zurück. Dann aber sind Wissen und Tugend dasselbe. Sein Schüler Xenophon beschreibt die Auffassung seines Lehrers wie folgt:
„Zwischen Wissen und Besonnenheit machte er keinen Unterschied, er war vielmehr der Meinung, dass der Kenner des Schönen und Guten sein Leben auch dementsprechend führe und sich von dem Schändlichen in acht nehme. Fragte man ihn dann, ob er diejenigen sowohl für weise als auch für besonnen und beherrscht halte, welche trotz ihres Wissens um das, was zu tun ist, das Gegenteil davon tun, so sagte er: »Ich halte diese für nichts anderes als für Unweise und Unbeherrschte. Denn ich glaube, dass alle im Bereich des Möglichen das tun, was sie als das Vorteilhafteste für sich ansehen. So halte ich eben dafür, dass die, welche nicht richtig handeln, weder weise noch besonnen sind.«“
Wenn wir heutzutage hören, die Menschen wissen es besser, aber tun es nicht, so wäre dieses Wissen für Sokrates ein bloßes Schein- oder Halbwissen.
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Das Wort eines weisen Menschen darf man nicht einfach wegwerfen, sondern man muss es darauf ansehen, ob damit nicht wirklich etwas gesagt sei.
Manchmal verstehen wir nicht auf Anhieb, was uns jemand sagen will oder verwerfen es, weil wir sehr schnell mit unseren Vorurteilen sind oder starr an unserer abweichenden Meinung festhalten. Sokrates empfiehlt, jedenfalls dann vorsichtiger zu sein, unsere Meinung zurückzustellen, lieber einmal nachzufragen und die Antwort möglichst objektiv zu erwägen, wenn wir mit jemanden sprechen, von dem wir wissen oder glauben, dass er sehr viel weiß, viel Erfahrung hat oder viel über das Leben nachgedacht hat. Häufig verhalten sich die Dinge bei genauerer Betrachtung anders, als wir bisher geglaubt haben. Sokrates ging in der Ablehnung von vorgefassten Meinungen und Glaubenssätzen so weit, von sich selbst zu behaupten, er wisse gar nichts: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Dies ist seither der Standpunkt der Philosophie: das Fragen. Wir lernen nur durch kluges Fragen, nicht durch vorschnelles Antworten. Wer aber nicht dazulernt, kann sich nicht weiterentwickeln. Schon Kleobulos von Lindos, einer der „Sieben Weisen“, empfahl daher: „Achtsam zuhören und nicht viel reden!“
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Weisheit ist Glück, denn sie lehrt uns, in jeder Lage das Richtige zu treffen.
Man hat Sokrates den Vater der abendländischen Philosophie genannt und hält ihn für einen seiner bedeutendsten Vertreter, obgleich er nie etwas geschrieben hat. Er hat sich ausschließlich mit der praktischen Philosophie beschäftigt, nämlich mit den Fragen, wie wir leben sollen und glücklich leben können. Dies war für ihn der eigentliche Gegenstand der Philosophie, der „Liebe zur Weisheit“. Aus diesem Grund geht er in dem bemerkenswerten Zitat so weit, Weisheit und Glück gleichzusetzen. Die im philosophischen Nachdenken gewonnenen Einsichten sollen uns helfen, solche Entscheidungen zu treffen und so zu handeln, dass wir das Gefühl haben, ein sinnvolles, glückliches und erfülltes Leben zu führen. Die ethischen Entwürfe in der Antike in Ost und West waren überwiegend sog. „Strebensethiken“. Sie gingen von dem aus, wonach die Menschen im tiefsten Innern ihrer Seelen streben, was das letzte Ziel ihres Handelns ist, hinter dem es kein weiteres Ziel mehr gibt. Auch in der Antike gab es bereits „Pflichtenethiken“, die nicht auf das Ziel unseres Handelns abstellten, sondern auf die Gesinnung und den Willen, die den Handlungen zugrunde liegen. Später war es vor allem Kant, der ausschließlich auf den guten Willen abstellte und das Motiv eines glücklichen Lebens als ethisches Kriterium verwarf.
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