- PHILOSOPHIE TO GO -
DIE TÄGLICHEN
“WORTE DER WEISHEIT”
Der Erkennende redet nicht; der Redende erkennt nicht.
Der Ausspruch stammt von Laotse und wird hier zitiert von seinem bedeutendsten Nachfolger Zhuangzi. Eine andere Übersetzung lautet: „wer weiß, spricht nicht / wer spricht, weiß nicht.“ Bei Laotse heißt es weiter:
„Man
muss seinen Mund schließen
und seine Pforten
zumachen,
seinen Scharfsinn
abstumpfen,
seine wirren Gedanken
auflösen,
sein Licht mäßigen,
sein Irdisches
gemeinsam machen.
Das heißt verborgene
Gemeinsamkeit (mit dem SINN, Dao).“
Eine schwierige Stelle. Sie darf nicht wörtlich genommen werden. Der Sinn geht in Richtung meditativer Versenkung, (mystisches) Einswerden der eigenen Seele mit der Allnatur, „weltlicher“ ausgedrückt: um harmonisches Einschwingen mit dem, was das Leben natürlicherweise bestimmt und ausmacht. Diese Harmonie kann nur erlebt, aber nicht gedacht, rational erklärt oder ausgesprochen werden. Man kann sie lediglich andeuten. Sie hat mit der Überwindung ichbezogener Verhaltensweisen zu tun („sein Licht mäßigen“). Zu dieser Ichbezogenheit rechneten die Daoisten wie Laotse den berechnenden Verstand, der nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Unserer heutigen Zeit ist dieses „Einschwingen“ keineswegs unbekannt. In der Neuroimmunologie kennen wir es als die Fähigkeit des Hormon-, Nerven- und Immunsystems, sich an veränderte Bedingungen anzupassen. In der Psychologie kennen wir es als Resilienz und als Flow. In der Soziologie hat Hartmut Rosa unter dem verwandten Begriff der „Resonanz“ eine „Soziologie der Weltbeziehungen“ ausgearbeitet. In unserem Leben schließlich kennen wir dieses Einschwingen in allen Formen der Liebe.
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Pythagoras empfahl, zu schweigen und nur dann etwas zu sagen, wenn das Gesagte besser ist als das Schweigen.
Das Zitat stammt aus einer griechischen Spruchsammlung unbekannter Herkunft (sog. „Gnomologium Vaticanum“), die im 14. Jh. niedergeschrieben und erstmals Ende des 19. Jh. veröffentlicht wurde. Die Echtheit der einzelnen Sprüche ist zweifelhaft. Dem Sinn nach ist uns die in dem Zitat zum Ausdruck kommende Einstellung des griechischen Philosophen Pythagoras (6. Jh. v. Chr.) und seiner Schüler aber auch aus anderen Quellen bekannt. Pythagoras hatte in Unteritalien die erste philosophische Gemeinschaft gegründet, von der wir wissen. Die Erziehung der Persönlichkeit hin zu einer friedvollen, weisen Lebensführung stand im Zentrum dieser Gemeinschaft. In den ersten fünf Jahren mussten die Schüler sich im Schweigen üben.
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
in unserem Philosophie-Podcast „Der Pudel und der Kern“ ist eine weitere Folge #67 zu hören. Es geht um das Thema "Alleinsein und Einsamkeit", welche positiven und negativen Vorstellungen dazu bestehen und welche Bedeutung das Aleinseinkönnen für ein gelingendes Leben hat.
"Doch muß
man beides verbinden und miteinander
abwechseln lassen, Einsamkeit und Geselligkeit."
Seneca
Ferner auf diversen Plattformen wie:
Spotify: https://open.spotify.com/episode/4HJouRQhWaTDRkSa9visNv
Wenn Ihnen der Podcast gefällt, empfehlen Sie ihn bitte weiter. Über Anmerkungen
und Rückfragen freuen wir uns.
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PHILOSOPHIE FÜR KINDER UND JUGENDLICHE IM WEB 2023
Einführung
in das philosophische Denken für Kinder und Jugendliche
Nächster Termin:
Sonntag, den 08. Oktober 2023, 09:30 - 10:45 Uhr (FÜR JUGENDLICHE)
Sonntag, den 08. Oktober 2023, 11:00 - 12:15 Uhr (FÜR KINDER)
Thema: "Maßhalten"
Seminarbeitrag pro Kind: 10,- €
Maximale Teilnehmerzahl: 20
Anmeldung: E-Mail an massundmitte@gmx.de
Die weiteren Termine in diesem Jahr sind:
Sonntag, den 10. Dezember 2023, 11-12:15 Uhr - "Beharrlichkeit"
Herzliche Grüße
Ihr
Albert Kitzler
Für den Stillen öffnet sich das Innerste des Hauses.
Das Zitat stammt aus einem ägyptischen Papyrus aus dem 3. Jts. v. Chr. und lautet im Zusammenhang:
„Der Scheue bleibt heil, und der maßvoll Handelnde wird gelobt. Für den Stillen öffnet sich das Innerste des Hauses, und frei ist der Raum für den Zufriedenen, rede nicht unnötig.“
„Das Innerste des Hauses“ meint vielleicht das Innerste der Seele. Sich in Stille jemandem wohlwollend zuwenden kann der Beginn eines bedeutsamen Gesprächs und einer echten menschlichen Begegnung sein. Wer während einer Begegnung schweigen und still werden kann, der schafft einen geistigen Raum, in den hinein das Gegenüber vertrauensvoll treten und sich offenbaren kann.
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Das schweigende Nichtstun ist wirklich im Recht.
Das Zitat stammt von dem chinesischen Philosophen Zhuangzi (4. Jh. v. Chr.):
„Nichts sinnen, nichts denken: so erkennst du den SINN (Dao, Tao, der rechte Weg); nichts tun und nichts lassen: so ruhst du im SINN; keine Straße wandern: so erlangst du den SINN … Das schweigende Nichtstun ist wirklich im Recht, deshalb, weil es kein Erkennen hat; Willkür kommt ihm nahe, weil sie Vergessen hat; wir beide erreichen es ewig nicht, weil wir Erkennen haben.“
Eine schwierige Stelle. Für diese Richtung der altchinesischen Philosophie, den Daoismus, war es ein Ideal der Persönlichkeitsentwicklung, wieder zu werden wie ein Kind und mit natürlicher Spontaneität aufzugehen im Hier und Jetzt. Berechnendes Denken, das gewaltsam in das kosmische Geschehen eingreift und es schädigt, lehnten sie ab. Wie in der Genesis die Erkenntnis die Ursache für den Verlust des Paradieses ist, so hier für den Verlust des Rechten Weges (Dao). Für die Daoisten hatte nicht die Gestaltung der Welt, sondern das harmonische Einschwingen in das Weltgeschehen und in den natürlichen Rhythmus des Werdens und Vergehens die Priorität. Deshalb sprachen sie vom „nichts tun“ (chin. wu wei) und meinten damit, dass wir nicht mit unseren selbstsüchtigen Absichten in das natürliche Geschehen eingreifen sollten („keine Straße wandern“). Anstatt sich nach der eigenen Willkür „die Erde untertan zu machen“ (Gen 1,28), sollten wir ihr dienen.
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Siegle deine Worte mit Schweigen und dein Schweigen mit dem rechten Augenblick.
Der Ausspruch wird dem griechischen Philosophen und Staatsmann Solon (7./6. Jh. v. Chr.) zugeschrieben, einer der „Sieben Weisen“. Worte gewinnen an Gewicht, wenn man auch schweigen kann. Das antike Weisheitsdenken in West und Ost zog das Schweigen der Äußerung von Halbwissen oder Belanglosigkeiten vor. Man war der Meinung, dass das meiste „Wissen“ der Menschen entweder überhaupt kein Wissen ist oder allenfalls Halbwissen. Im Schweigen kommt die Demut des Fragens, der Neugier und des Zweifels zum Ausdruck. Diese Haltung ist charakteristisch für den Beginn der Philosophie und des Weisheitsdenkens. Solon bringt das Schweigen mit dem Aspekt des „rechten Augenblicks“ (griech. Kairos) in Verbindung. Alles hat seine Zeit, so auch das Schweigen. Man muss nicht immer etwas zu sagen haben. Schweigen ist manchmal besser.
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Der Mensch sollte seine Seelenteile untereinander sowie mit sich selbst befreunden und in diesem Zustand halten.
Das war die Auffassung Platons zum richtigen Umgang mit den eigenen Seelenkräften. Seinen „Seelenhaushalt” in Ordnung zu bringen, war für ihn oberstes Gebot und hieß, in seinem Inneren „Gerechtigkeit” herstellen, d.h. jedem Bedürfnis und Trieb im Hinblick auf das Gedeihen des Ganzen „das ihnen Gebührende” geben, d.h. vor allem: die guten Kräfte nähren, die zu Leid führenden zügeln. Negative Energien lassen sich weder verleugnen noch immer restlos vertreiben. Daher müssen wir einen passenden Umgang mit ihnen finden, „sie untereinander sowohl wie mit sich selbst befreunden und in diesem Zustand halten” d. h. sie annehmen und sie im Ganzen des seelischen Geschehens zu einer positiven Kraft verwandeln. Diese Aufgabe kann schwieriger sein als radikale Enthaltsamkeit, der Weg, den weite Teile der indischen Philosophie empfehlen. Denn sie verlangt, die verschiedenen Bedürfnisse und ihre Bedeutung für einen selbst zu erkennen, zu akzeptieren und ihnen im richtigen Maß nachzukommen („richtig ernähren”, wie sich auch Platon ausdrückt). Dieses richtige Maß zu finden, die „Messkunst”, wie Platon es nannte, ist nicht einfach. Gelingt es, so erlangen wir innere Ausgeglichenheit, in deren Folge sich regelmäßig eine Grundstimmung heiterer Gelassenheit einstellt, aus der das Gefühl von Glück erwächst. Gelingt es nicht, leben wir mit ungelösten inneren Spannungen und Konflikten, die uns seelisch Leiden bereiten.
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Die größte Frucht der Gerechtigkeit ist die Beruhigtheit.
Der Ausspruch stammt von dem griechischen Philosophen Epikur. In erster Linie dürfte gemeint sein, dass derjenige, der gerecht handelt, sich keine Vorwürfe machen muss, ein ruhiges Gewissen hat und ohne Furcht lebt. Sein Handeln stimmt überein mit seinen inneren Werten. Vielleicht hat Epikur aber auch an die Ausführungen Platons über die „Gerechtigkeit” gegen sich selbst gedacht. Dieser vertrat die Ansicht, dass der Mensch in sich selbst auf die gleiche Weise eine gerechte Ordnung herstellen muss, wie es der Herrscher im Staat tun sollte. Wenn der Mensch jedem seiner inneren Kräfte, Bedürfnisse, Wünsche („Seelenteile”) „das Seine” gewähre, d.h. das ihnen im Gesamtentwurf des eigenen Lebens jeweils Gebührende, Angemessene und Zuträgliche, dann werde er ein glückliches Leben führen. Denn dann herrsche in seiner Seele eine ausgeglichene, harmonische Seelenruhe. Wie ein Baum auf freiem Feld seine Äste nach allen Seiten harmonisch ausbreitet, so soll auch der Mensch seine Anlagen, Talente und Bedürfnisse im jeweils ihnen gebührenden Maß entwickeln und ausleben.
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Liebe Freunde/innen der Weisheit,
bei dem gestrigen Newsletter wurde statt der Broschüre 2024 versehentlich die Broschüre für 2023 angehängt. Ich bitte, das Versehen zu entschuldigen. Anbei die richtigen Anlagen.
Herzliche Grüße
Ihr
Albert Kitzler
Gerechtigkeit bedeutet, jedem das zukommen zu lassen, was ihm gebührt und seiner Natur entspricht.
Bei dem chinesischen Philosophen Zhuangzi findet sich dazu eine kleine Anekdote, die für sich selbst spricht:
„Er belehrte einst einen Besucher, der aber nichts zu verstehen schien und schließlich wegging. Der Meister sprach daraufhin:... ‘Es kam einmal ein Vogel, der ließ sich nieder auf dem Anger vor der Hauptstadt von Lu. Der Fürst von Lu hatte eine Freude an ihm und brachte Schlachtopfer dar, um ihn zu füttern, und ließ herrliche Musik machen, um ihn zu ergötzen. Aber der Vogel wurde traurig und blickte ins Leere. Er aß nicht und trank nicht. Das kommt davon, wenn man einen Vogel hegen will nach seinem eigenen Geschmack. Will man einen Vogel hegen nach dem Geschmack des Vogels, so muss man ihn nisten lassen in tiefen Wäldern, man muss ihn schwimmen lassen auf Flüssen und Seen, ihn fressen lassen nach seinem Belieben und ihn freilassen auf der Ebene. Nun kam da dieser Mann zu mir, ein unbegabter und unwissender Mensch, und ich habe mit ihm gesprochen über das LEBEN (Tugend, Weisheit) des höchsten Menschen. Das ist, wie wenn man eine Spitzmaus im Pferdewagen führen oder eine Wachtel mit Glocken und Pauken ergötzen wollte. Der Mann muss notwendig einen Schrecken bekommen.”
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Ein Mensch, der stets der Macht des Geldes unterliegt, kann niemals gerecht sein.
Das Zitat stammt von dem griechischen Philosophen Demokrit. Die ständige Beschäftigung mit Geld kann korrumpieren. Sokrates sagte, man wird zu dem, was man tut. Wer ständig mit Geld zu tun hat, wird leicht zu einem „Geldmenschen“. Mindestens färbt es die eigene Brille, durch die man die Dinge sieht und beurteilt. Es sind stets starke innere Abhängigkeiten und Verflechtungen, die einem den unbefangenen Blick auf einen Sachverhalt oder einen Menschen verstellen und eine gerechte Beurteilung verhindern. Deshalb meinten die Alten, nur der Weise sei wirklich frei. Seine Weisheit hat er dadurch erlangt, dass er seine Fremdprägungen aufgearbeitet, sich von äußeren Einflüssen weitgehend losgelöst und seine inneren Verführer gebändigt hat. Er ist zum Selbstdenker geworden ist, der sich eine innere Burg geschaffen hat, in deren gefestigter Mitte er seinen ruhenden Kern hat. Aus diesem heraus lebt er, versteht und beurteilt die Dinge und Menschen und wird ihnen gerecht.
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Gerechtigkeit bedeutet Übung, Enthaltung, Verzicht.
In den altindischen Upanishaden heißt es:
„Gerechtigkeit ist Tapas (Askese), Wahrheit ist Tapas, Studium ist Tapas, beruhigtes Wesen ist Tapas, Bezähmung ist Tapas, Beruhigung ist Tapas, Almosengeben ist Tapas, Opfer ist Tapas ...”
„Tapas” bedeutet Askese, Askese bedeutet Übung, Enthaltung, Verzicht. Alle Tugend und alles weise Handeln kommen nicht von selbst. Es bedarf einer Anstrengung und konsequenter Selbstbeherrschung und Selbststeuerung. Vielleicht existiert ein natürlicher Drang, tugendhaft und weise zu handeln, weil alle Menschen sich danach sehnen, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen, das nach Auffassung der antiken Denker dadurch erreicht wird. Gewiss aber haben wir innere Anlagen, die uns auch in die entgegengesetzte Richtung ziehen, sei es Trägheit, Uneinsichtigkeit, ungebremste Leidenschaft, Zorn, Aggressionen usw. Diese zu überwinden, ihnen nicht nachzugeben, ihrem Sirenenruf nicht zu folgen, das ist hier mit Verzicht gemeint. Wer sich darin übt, der dient seinem „besseren Ich”, der wird sich selbst „gerecht” und vermag auch anderen gerecht zu werden. Vergleiche zum Ganzen den Ausspruch Goethes, für den Verzicht ein Lebensthema war: „ … alles ruft uns zu, dass wir entsagen sollen …“.
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Duldsamkeit führt zur Gerechtigkeit.
Der Satz stammt von dem chinesischen Philosophen Laotse und zeigt eine erstaunliche Nähe zum gestrigen Ausspruch von Mark Aurel. Im Zusammenhang heißt es bei Laotse:
„Erkennt man das Ewige,
so wird man duldsam.
Duldsamkeit führt zur
Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit führt zur
Herrschaft.
Herrschaft führt zum
Himmel.
Himmel führt zum SINN
(Tao, Dao).
Sinn führt zur Dauer.
Sein Leben lang kommt man
nicht in Gefahr.”
Vieles
steckt in dieser bedeutsamen Stelle im 16. Abschnitt des Tao-Te-King
(Daodejing): Je besser wir die Welt, die Menschen und die Gesetze
verstehen, nach denen alles entsteht, wächst, blüht und vergeht, umso
duldsamer werden wir.
Aus diesem Verständnis und der Duldsamkeit/Gelassenheit heraus können
wir der
Welt gerecht werden und Frieden mit ihr schließen. Wenn wir etwas tief
verstehen, gewinnen wir Einfluss auf dieses Etwas („Herrschaft”). Wir können den Sinn
des Lebens erfassen und zu seiner dauerhaften Verwirklichung beitragen. Das
führt zum Dao/Tao, d.h. auf den rechten Lebensweg.
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Bedenke, dass alles, was geschieht, gerechterweise geschieht.
Eine ungeheuerliche Provokation scheint der Philosophenkaiser Mark Aurel hier auszusprechen. Aber vielleicht steckt in diesem Ausspruch auch viel Liebe, Verständnis und Duldsamkeit, wenn wir ihn nur richtig auslegen. Mark Aurel könnte gemeint haben, dass der Mensch das Leben im Grundsatz lieben soll, was auch immer geschieht; dass er versuchen soll, das Geschehen in der Welt zu verstehen, was nicht heißt, es auch zu akzeptieren oder untätig und widerspruchslos hinzunehmen. Alles hat seine Ursache und ist daher grundsätzlich verstehbar, wenn uns alle Umstände bekannt wären. Bevor wir anklagen und verurteilen, sollen wir zunächst verstehen, warum die Welt so ist, wie sie ist. Nur tiefes Verstehen gibt uns die Möglichkeit, etwas zu verändern und besser zu machen. Schließlich klingt hier die Duldsamkeit und Gelassenheit des Stoizismus an, dem Mark Aurel zuzurechnen ist: Worauf wir keinen Einfluss haben, da müssen wir Dinge und Menschen so nehmen, wie sie sind und das Beste daraus machen. Zum zitierten Ausspruch mag man Goethes berühmtes Wort aus dem „West-östlichen Divan“ vergleichen: „Wie es auch sei, das Leben, es ist gut.”
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Wir treffen unsere Entscheidungen je nach unserer Stimmung.
Das war die Auffassung des Aristoteles. In seiner ‚Rhetorik’ schreibt er:
„Mittels der Zuhörer überzeugt man, wenn sie durch die Rede zu Emotionen verlockt werden. Denn ganz unterschiedlich treffen wir Entscheidungen, je nachdem, ob wir traurig oder fröhlich sind, ob wir lieben oder hassen.“
Auf die Stimmung zu achten und sich um eine ausgeglichene Stimmung zu bemühen, ist auch deshalb wichtig, weil die Stimmung Einfluss auf unsere Vorstellungen, Werturteile und Entscheidungen hat, und je nach Stimmung, nicht immer einen guten und hilfreichen. Wir sollten deshalb versuchen, einem negativen Einfluss der Stimmung entgegenzuarbeiten, indem wir durch unsere Lebensweise eine möglichst ausgeglichene Stimmung anstreben, die sich im Alltag und bei allen Entscheidungen nicht von Stimmungen hinreißen lässt, sondern das tut und wählt, was vernünftig und das Beste ist. Das muss nicht bedeuten, dass man nicht auch auf sein Bauchgefühl hört. Aber der Bauch sollte „gesund“ sein und sich in einem guten Zustand befinden. Das ist der Fall, wenn man mit sich und seinen Gefühlen „im Reinen“ ist und ganz aus seiner Mitte heraus lebt.
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Die Stimmungen zeigen uns den Zustand der Seele an.
Das ist der Sinn des folgenden Zitats bei Seneca:
„... jede Anwandlung einer sich sträubenden, einer klagenden, einer unzufriedenen Stimmung ist Zeichen einer eingetretenen Störung und tiefen inneren Zwietracht.“
Seneca sagt hier zugleich, worauf es bei einer weisen Lebensführung vor allem ankommt: auf die Harmonie der Seele, auf innere Ausgeglichenheit, auf die Balance der verschiedenen Seelenkräfte, auf den Frieden im Innern, auf Seelenruhe, modern gesprochen: auf „Kohärenz“. Für Karl Jaspers, Philosoph und Begründer der Psychopathologie, ist diese Kohärenz gestört, wenn in einer Person unterschiedliche Seiten von Gefühlszusammenhängen nicht zusammenfließen, sondern sich gegenseitig fremd gegenüberstehen. Ein betrübte oder „schlechte“ Stimmung ist häufig Ausdruck solcher inneren Spannungen.
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Die Musik versetzt uns in die richtige Stimmung, um weise zu leben.
Das war die Auffassung des Stoikers Diogenes von Seleukia:
„Es ist klar, dass die Musik auf allen Gebieten des Lebens brauchbar ist und dass die Liebe zu dieser Kunst uns in eine geeignete Stimmung für die meisten, ja, wie mir scheint, für alle Tugenden (Weisheiten) versetzen kann.“
„Tugend“ kann mit „Weisheit“ gleichgesetzt werden. In der Antike meinen beide Begriffe im Kern dasselbe: „richtiges“ oder erstrebenswertes Verhalten, das auf Dauer zu einem zufriedenen, glücklichen und erfüllten Leben führt. Das Wort „Tugend“ hat im heutigen Verständnis etwas Moralisierendes, was dem griechischen und lateinischen Wort, das gewöhnlich mit „Tugend“ übersetzt wird (griech. arete, lat. virtus), fremd war. Es bezeichnete eher die Vortrefflichkeit. Die Musik – wie alle Kunst und Beschäftigung mit dem Schönen – hebt die Stimmung, sensibilisiert für Schönheit, Harmonie und Freude und ist eine nicht zu unterschätzende Hilfe bei der Lebensbewältigung.
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Der Weise achtet auf eine harmonische Stimmung seiner Seele.
Das ist der Sinn folgender Stelle des Konfuzius über den Einfluss der Musik auf unser Wohlbefinden:
„Das Spiel des Weisen (mit der Zither, chin. Saiteninstrument) ist mild und sanft, es hält sich im Gleichmaß der Stimmung und wirkt anregend und belebend. Die Stimmung des Schmerzes und der Trauer nährt er nicht in seinem Herzen, trotzige und gewaltige Bewegungen sind seinem Körper fremd. Dies ist die Stimmung, die harmonisch genannt wird … Das Spiel des Gemeinen (des Nichtweisen) ist anders … Das sind aber Stimmungen, die ungeordnet genannt werden müssen …“
Für Konfuzius war es das Ziel weiser Lebensführung, eine dauerhafte ausgeglichene Stimmung heiterer Gelassenheit in der Seele zu erzeugen. Die Musik war ihm dabei wie bei der gesamten Charakterbildung ein wichtiges Hilfsmittel. Er selbst war ein Meister der Zither, kannte mehrere Hundert Lieder auswendig und begleitete sich selbst beim Singen. Die Formulierung, dass der Weise die „Stimmung des Schmerzes und der Trauer nicht nährt“, deutet umgekehrt auf eine häufig anzutreffende Schwäche hin: Statt negativen Gefühlen etwas entgegenzusetzen, sie abzubauen oder die darin enthaltene Energie in etwas Positives zu verwandeln, schüren, steigern und nähren die Menschen sie nicht selten.
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Unsere Stimmungen sind Folgen unserer Gedanken und Vorstellungen.
Das war die Meinung des griechischen Philosophen Zenon, dem Begründer der stoischen Philosophie. Er sagte:
„Die Affekte sind nicht selbst Urteile, sondern die aus solchen sich ergebenden Stimmungen der Seele: Trübsinn und Heiterkeit, Erhebung und Niedergeschlagenheit.“
In der Stoa wurde bisweilen die Auffassung vertreten, dass die Gefühlsaffekte Vernunfturteile sind. Dem lag die Vorstellung zugrunde, dass die Seele ein einheitliches, vernunftgesteuertes Ganzes darstellt, das nicht in Teile zerlegt werden könne. Zenon widerspricht dem insofern, als er klarstellt, dass für ihn die Affekte nicht selbst Vernunfturteile sind, sondern nur Folgen solcher Urteile. Der wichtige Aspekt, den beide Auffassungen hervorheben, ist, dass unsere Gefühlsaffekte eng mit unserem Denken und Urteilen verbunden sind, demnach auch durch unser Denken und Urteilen gesteuert und beeinflusst werden können. Ob wir z.B. ein Ereignis als ein Glück oder Unglück empfinden, hängt davon ab, wie wir es beurteilen. Diesen Umstand macht sich eine weise Lebensführung zunutze. Über die Änderung unserer Vorstellungen und Urteile (z.B. was wertvoll, gut oder nützlich ist, was nicht) und den Wechsel der Perspektive (z.B. kann ein drückendes Problem aus einem anderen Blickwinkel als Herausforderung, Übung oder Chance verstanden werden) können wir unser Wohlbefinden beeinflussen.
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Große Seelenruhe erlangt, wer es vermag, die Stimmungen auszutilgen.
Bei dem chinesischen Philosophen Liezi lesen wir:
„Und woher weiß man, dass er (Konfuzius) ein Heiliger ist? Schu Sun sprach: Ich habe schon oft den Yän Hui sagen hören, dass Kung Kiu (Konfuzius) es über sich bringt, die Stimmungen auszutilgen, um des Leibes Meister zu werden.“
Die neben Konfuzius genannten Personen sind hier nicht wichtig. Was wir dem Zitat entnehmen können ist, dass es Konfuzius offenbar gelang, ein so hohes Maß an innerer Ausgeglichenheit und seelischem Gleichmut zu verwirklichen, dass es ihm gelang, außer den seelischen auch körperlich bedingte Stimmungen fernzuhalten und in hohem Maße seine körperlichen Funktionen zu beherrschen. Das erinnert an die indischen Yogis, die durch jahrelanges Training und Meditation ihren Körper vollkommen beherrschen. Das ist keine angeborene Charaktereigenschaft, sondern Ergebnis einer disziplinierten, weisen Lebensführung und das Einüben von gesunden, wohltuenden Denk-, Wollens- und Verhaltensgewohnheiten. Weisheit entzieht belastenden, negativen Gefühlen, Vorstellungen und Gedanken ihren geistig-seelischen Nährboden, so dass sie sich nicht entfalten können. Heiterkeit und eine ausgeglichene Gemütslage sind auf diesem Weg für jeden von uns erlernbar.
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Achte auf die Gleichmäßigkeit deiner Stimmung!
In einem vielzitierten Brief Platons an Dionysios, den Tyrannen von Syrakus, empfiehlt Platon diesem, er solle
„vor allem aber diese Gleichmäßigkeit der Stimmung in sich selbst zur Herrschaft bringen; denn daran fehle es ihm in erstaunlichem Maße.“
Der Übersetzer Otto Apelt merkt an: „Diese Stetigkeit des eigenen Wesens, die auf der Einheit mit sich selbst beruht, ist eine der wesentlichsten Forderungen der platonischen Ethik.“ Wir können ergänzen, dass die nachhaltige Ausgeglichenheit der Seele, die Beharrlichkeit und Konsequenz ihrer Einsichten, Haltungen und Entschließungen nicht nur für Platon, sondern für weite Teile des antiken Weisheitsdenkens in West und Ost eines der Hauptziele menschlicher Lebensführung war. Sie nannten es Seelenruhe, Seelenfrieden und Gleichmut, die „Unerschütterlichkeit des Weisen“. Als Gelassenheit ist sie auch heute noch ein äußerst erstrebenswertes Ziel der individuellen Seelenführung.
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Was du Gutes hast, schreib den Göttern zu, nicht dir.
Bias fordert uns in diesem Ausspruch zur Demut auf und warnt damit indirekt vor der Hybris, Dieser Warnung kam bei den alten Griechen eine ebenso große Bedeutung zu wie dem Übermaßgebot („Nichts zu sehr!“). Der Ausgang der meisten Unternehmungen, die wir beginnen, liegt nicht in unserer Hand, sondern ist auch von äußeren Umständen und dem Verhalten anderer Menschen abhängig. In solchen Fällen zu denken, der Erfolg sei ausschließlich unser Verdienst, ist überheblich und verkennt, dass in der Regel auch der Zufall, glückliche Umstände oder die Mitwirkung anderer Menschen den Erfolg ermöglichten. Eine solche Haltung gründet in Demut und führt zur Dankbarkeit, Dankbarkeit zur Freude.
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Geh langsam ans Werk; aber was du begonnen, bei dem harre aus.
Bias von Priene, einer der Sieben Weisen, empfiehlt, am Anfang einer Unternehmung bedächtig vorzugehen, sich zu überlegen, wie man am besten beginnt, was die weiteren Schritte sind, wie das Ende und die Folgen sein könnten und ob man damit seine letzten Ziele und Zwecke wirklich erreicht. Entschließt man sich dann zur Durchführung, soll man konsequent, zielstrebig und beharrlich die Sache vorantreiben und nicht voreilig aufgeben. Auch in der altchinesischen Philosophie, etwa bei Laotse, finden wir den Hinweis, dass vieles darauf ankommt, dass man eine Sache richtig beginnt.
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Sieh in den Spiegel: wenn du schön aussiehst, musst du auch Schönes tun; wenn hässlich, musst du den Mangel der Natur durch Edelsein ausgleichen.
Der denkwürdige Ausspruch stammt von Bias von Priene. Wie alle antike Ethik fordert er dazu auf, Gutes zu tun und dadurch ein guter Mensch zu werden, seine Mängel zu überwinden oder doch durch Qualitäten auszugleichen. Bias dürfte auch darauf anspielen, dass sich in dem Aussehen wiederspiegelt, was für ein Mensch man ist. Über seine Erscheinung strahlt man aus, ob man ein „guter“ Mensch ist, in sich ruht, seine Mitte gefunden hat und anderen Menschen mit Wohlwollen, Zugewandtheit und Milde begegnet, oder ob Zwietracht in der Seele herrscht, man unzufrieden ist und anderen Menschen eher missmutig, aufbrausend und aggressiv begegnet. „In den Spiegel“ schauen meint hier: „Erkenne Dich selbst!“.
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Nicht dein Äußeres schmücke, sondern sei schön in deinem Tun.
Thales von Milet soll dies gesagt haben. Der Ausspruch enthält einen der wichtigsten Gedanken der antiken Glücks- und Lebenslehre. Noch zu Homers Zeiten wurde das Glück durch äußere Güter wie Besitz, Ansehen, Ruhm, Kinderreichtum und ähnliches definiert. Im 6. und 5. Jh. v. Chr. änderte sich das. Die beiden Vorsokratiker Heraklit und Demokrit bestimmten den „inneren Reichtum“ als maßgebliches Kriterium für Glück. So sagte Demokrit, dass das Glück nicht in Herden und Ländereien liege, sondern im Innern der Seele. Dies dürfte auch der Sinn der Worte des Thales sein. Er mahnt uns, weniger auf Äußerlichkeiten, umso mehr aber auf die Seelenverfassung zu achten, auf die Haltungen, Anschauungen, Werte und Gesinnungen, die in dem Ausdruck finden, was wir tun. Diesen Gedanken finden wir in allen Weisheitslehren der Antike. So fragte beispielsweise der chinesische Philosoph Laotse: „Was ist mehr, die Person oder der Besitz“?
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Nichts gewaltsam tun.
Der Ausspruch wird dem Kleobulos von Lindos zugeschrieben. Er besagt zum einen, dass man bei allem, was man tut, auf Gewalt verzichten sollte. Insofern ist er nah verwandt mit dem zentralen altindischen Gebot der Gewaltlosigkeit (Ahimsa), dem sich in beeindruckender Weise Mahatma Gandhi verpflichtet gefühlt hat. Versteht man den Ausspruch dahin, dass man nichts erzwingen sollte, führt er zu Gelassenheit: Derjenige bleibt gelassen und frei von Ängsten und Sorgen, der auf die unbedingte Durchsetzung seines Wollens, wenn es auf Äußeres gerichtet ist, auch verzichten kann. „Der Weise versucht auch das, was er erzwingen kann, nicht zu erzwingen“, sagt der chinesische Philosoph Zhuangzi.
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Eine Krankheit der Seele sei es, sich in das Unmögliche zu verlieben und fremder Leiden nicht zu gedenken.
Der Ausspruch stammt von Bias von Priene. Er enthält zwei beherzigenswerte Gedanken. Der erste besagt, dass man krank an der Seele wird, wenn man heftig nach etwas strebt, was man nicht erreichen kann. Man muss notwendig leiden, wenn man ernsthaft eine Begierde in sich nährt, die nie befriedigt werden kann. Hierher gehört die Mahnung der alten Denker, sich nicht zu übernehmen und nur das anzugehen, was man auch bewältigen kann.
Der zweite Gedanke, dass man fremder Leiden gedenken sollte, führt zu Mitgefühl und zur Bereitschaft zu helfen, wo man kann. Darüber hinaus wird man dankbar, bescheiden und demütig, wenn man sich das Leiden anderer bewusst macht und erkennt, dass es einem auch schlechter gehen könnte. „Der Weise vergisst nie, dass er morgen in einem Straßengraben liegen kann“, sagt der chinesische Philosoph Zhuangzi.
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Sei nicht untätig, auch dann nicht, wenn du reich bist.
Der Ausspruch stammt von Thales von Milet, einem der „Sieben Weisen“ des alten Griechenlands, der in der Geschichte der Philosophie als der erste Philosoph gilt. Eine Beschäftigung oder Tätigkeit, ob bezahlt oder unbezahlt, ist eine Lebensnotwendigkeit. Wie jedes Lebewesen will der Mensch wachsen, blühen und gedeihen und seine inneren Anlagen entfalten. Das ist ein Naturgesetz. Ein „erfülltes“ Leben ist eines, bei dem die innere Bestimmung, das „Gesetz“, „nach dem man angetreten ist“, zur Erfüllung kommt. Als Wirken in der Welt vermittelt uns jede Tätigkeit die Erfahrung der Selbstwirksamkeit und damit das Gefühl, dass wir da sind, existieren, etwas bewirken können. Daraus erwachsen Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, aber auch das Gefühl von der Sinnhaftigkeit unserer Existenz. Ohne diese Erfahrung ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, seelisch gesund zu bleiben, ja zu überleben.
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Erkenn’ den Rhythmus, der im Menschenleben herrscht!
Bei dem griechischen Lyriker und Soldaten Archilochos lesen wir:
“Wenn du
Sieg gewonnen, jauchze nicht vor aller Welt es aus,
Und verlorst du, winsle
nicht zu Haus und wirf dich in den Staub!
Weder freu dich in der
Freude, noch zergräme dich im Leid
übermäßig und vergiss
nicht, welchen Takt das Leben hält!”
Wer weiß, dass das Leben wie alle Natur seinen Rhythmus hat mit lebhaften, produktiven und blühenden Zeiten, die dann wieder umschlagen in unfruchtbare, lähmende und starre Zeiten, der lässt sich weder durch Unglück dauerhaft betrüben noch durch Glück zur Überheblichkeit verführen. Der vorangestellte Satz ist eine andere Übersetzung der letzten Zeile dieser Verse.
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Zeus, misch dem Guten auch ein Unglück bei!
Als Philosoph, der keinen geringeren Lehrer als Aristoteles hatte, wusste Alexander der Große um die Ungewissheit des Schicksals und fürchtete es. Daher bat er die Götter, als ihm zahlreiche Erfolge gemeldet wurden: „Zeus, misch dem Guten auch ein Unglück bei!” Der uns diese Anekdote übermittelt, fügt hinzu: „Mit so viel Verstand wusste Alexander sich vor dem Siegesrausch zu hüten.” Das Zitat stammt aus einem angeblichen Brief des griechischen Philosophen Antisthenes an Perikles. Auch wenn der Brief unecht sein sollte, so datiert er aus der Antike und drückt einen damals weit verbreiteten Gedanken aus. Im Hinblick auf ein Übermaß an Glück waren die alten Griechen sehr skeptisch. Sie wussten, dass darauf meistens ein heftiger Wechsel folgen wird, auf eine glückliche Periode mit Naturnotwendigkeit eine weniger glückliche. Als Anhänger des rechten Maßes zogen sie ein Auf und Ab in Maßen einem ständigen Gelingen vor. „Wen die Götter vernichten wollen, den überschütten sie zuvor mit Glücksgütern“.
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Erhebe dich nie über andere Menschen!
Der chinesische Philosoph Zhuangzi erzählt ein bizarres Gleichnis über den hochmütigen Stolz auf die eigene Geschicklichkeit:
Der König Wu „erstieg den Affenberg. Als die Affen ihn sahen, erschraken sie, ließen alles liegen und flohen und versteckten sich im dichten Gestrüpp. Nur ein Affe war da, der zeigte keinerlei Respekt, kletterte lustig umher und prahlte dem König gegenüber mit seiner Geschicklichkeit. Der König schoss nach ihm, aber mit einer geschickten Bewegung ergriff der Affe den schnellen Pfeil. Da befahl der König seinen Dienern, ihn mit Pfeilen zu überschütten, und das Ergebnis war, dass der Affe tot geschossen wurde ... ‚Dieser Affe brüstete sich mit seiner Geschicklichkeit und verließ sich auf seine Gewandtheit und glaubte mich verhöhnen zu können. Darum ist dieses Unheil über ihn gekommen. Lass dir's zur Warnung dienen: Erhebe dich nie um äußerer Dinge willen über andere Menschen!’”
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Dem Gewinn ein Maß zu setzen tut not …
Doch heftiger stachelt
Die Torheit uns,
das Unerreichbare
sehnend zu wünschen.
Die Worte stammen von dem griechischen Dichter Pindar. Alle Kulturen warnten vor der Hybris, aber keine so nachdrücklich wie die der alten Griechen. Man solle nie die Begrenztheit menschlicher Existenz aus den Augen verlieren, forderten sie. Es gibt eine deutliche Überschneidung mit dem Übermaßverbot, wie das Zitat zeigt. So ist es kein Zufall, dass zwei berühmte Inschriften aus dem Apollontempel in Delphi häufig im Zusammenhang genannt werden: das „Erkenne dich selbst!”, das ursprünglich gleichbedeutend mit der Erkenntnis der menschlichen Begrenztheit war, und das „Nichts zu sehr!”, das zur Einhaltung des rechten Maßes auffordert. Viel seelisches und körperliches Leiden ziehen wir uns dadurch zu, dass wir in eitler Selbstüberschätzung, getrieben von überzogenen Wünschen und Vorstellungen, körperliche und seelische Warnsignale missachtend, die Grenze unserer mentalen und physischen Kräfte überschreiten. Hybris vermeidet, wer Demut, Dankbarkeit und Bescheidenheit übt, bis sie als innere Haltung zu einem festen Charakterbestandteil geworden sind.
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Wer jede Überheblichkeit aufgibt, der hat einen wesentlichen Schritt zur Weisheit getan.
Das dürfte, neben anderem, der Sinn der folgenden Verse aus der indischen Bhagavadgita sein:
„Wer Selbstsucht, Wollust, Dünkel, Zorn,
Und Prahlsucht völlig
abgestreift,
Gelassen, ohne Habe ist,
Der ist zur Göttlichkeit
gereift.
Zum Brahm geworden,
heiter, still,
Erlöst von Kummer und von
Gier,
Und allen Wesen
gleichgesinnt,
Hegt höchste Liebe er zu
mir.”
Auf die Hybris deuten die Worte „Dünkel” und „Prahlsucht” hin. „Brahm” (Brahman) ist das Göttliche als etwas Unpersönliches, das nach altindischer Auffassung zugleich den innersten Kern des eigenen Selbst bildet und dann „Atman“ heißt. Der Zustand, der im zweiten Teil beschrieben wird, kann auch als der eines Weisen verstanden werden. Für die Inder war der Erleuchtete („zur Göttlichkeit gereift”) ein Weiser und umgekehrt, wer weise war, galt als erleuchtet. Wie bei den Griechen wird dieser Zustand als eine „stille Heiterkeit” beschrieben. Für die Griechen war ein solcher Mensch nicht göttlich, aber doch „gottähnlich”.
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Wer stets besser sein will als die anderen, findet schließlich einen ebenbürtigen Feind.
„Als Konfuzius die Hauptstadt von Dschou sah, da ging er in den Tempel des Ahnherrn Hou Dsi. Vor den rechten Stufen der Tempelhalle stand ein goldener Mann, der hatte mit drei Nadeln den Mund verschlossen. Auf seiner Rückseite stand folgende Inschrift:
‚… wer andern über sein will,
Findet sicher schließlich
einen ebenbürtigen Feind.
… Der Edle weiß, dass man
die Welt nicht überkommen kann,
Darum stellt er sich unter
sie….’”
Mit
dem „über sein” und „überkommen” ist gemeint, dass
jemand mehr, besser, größer
sein will als andere und meint, über den Gesetzen zu stehen. Beide
Ausdrücke
sind in dem Wort „Überheblichkeit” enthalten, mit dem das griechische
Wort „hybris” übersetzt werden
kann. Andere Übersetzungen sind „Übermut”, „Einbildung“, „Anmaßung“ und
„Wissensdünkel”. Streng genommen bedeutet das griechische Wort das
„Hinausgehen über das
rechte Maß”, ist demnach eng verwandt mit dem Übermaßverbot, dem „Nichts
zu sehr!” Wer in der Selbsteinschätzung sein eigenes Maß verfehlt und
sich für
mehr hält, als er ist, wer sich über sich selbst (sein rechtes Maß)
erhebt, wer
meint, über dem Schicksal zu stehen, der wird scheitern.
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Drum erhebe sich nimmer ein Mensch und frevele nimmer; sondern geniesse, was ihm die Götter bescheren, in Demut!
Insbesondere die alten Griechen prangerten die Hybris (Übermut, Anmaßung, Überheblichkeit) als etwas an, das einer weisen Lebensführung entgegensteht und mit Naturnotwendigkeit zum Fall, Scheitern und zu Unglück führt. Das Zitat stammt von Homer. Es lohnt sich, die Stelle aus seiner 'Odyssee' im Zusammenhang zu lesen:
(Odysseus)
„Siehe, kein Wesen ist so eitel und unbeständig
Als der Mensch, von allem,
was lebt und webet auf Erden.
Denn so lange die Götter
ihm Heil und blühende Jugend
Schenken, trotzt er und
wähnt, ihn treffe nimmer ein Unglück.
Aber züchtigen ihn die
seligen Götter mit Trübsal,
Dann erträgt er sein
Leiden mit Ungeduld und Verzweiflung.
Denn wie die Tage sich
ändern, die Gott vom Himmel uns sendet,
Ändert sich auch das Herz
der erdebewohnenden Menschen.
Siehe, ich selber war
einst ein glücklicher Mann, und verübte
Viel Unarten, vom Trotz
und Übermute verleitet,
Weil mein Vater mich
schützte und meine mächtigen Brüder.
Drum erhebe sich nimmer
ein Mensch und frevele nimmer;
Sondern geniesse, was ihm
die Götter bescheren, in Demut!”
Interessant ist, dass Homer im Zusammenhang mit der Hybris die Unbeständigkeit des Menschen nennt („Ändert sich auch das Herz der erdebewohnenden Menschen“). Von Sokrates, einem der weisesten Griechen, hieß es, dass er sich immer gleich blieb, in guten wie in schlechten Zeit. Hybris hat ihn gewiss nie befallen. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, war seine bescheidene Lebensmaxime.
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Durch Ruhe ruhig, wandelt man glückselig.
Das
Zitat stammt aus den Upanishaden,
der ältesten schriftlichen Quelle des Yoga und anderer
Strömungen der altindischen Philosophie. Stille und Ruhe bedeutet hier keineswegs Passivität
oder innerer Stillstand, vielmehr ein Insichruhen, authentisch sein, mithin ein Zustand, aus dem heraus der Mensch die Energie
schöpft, dasjenige zu tun, was seinem spezifischen
Wesen entspricht. So bedeutet innere Stille zugleich höchste Dynamik, denn nur,
wenn der Mensch aus seiner Mitte heraus handelt, handelt er
mit höchster Energie, denn er setzt um, was für ihn wesentlich und bedeutsam ist. Alles andere ist
streng genommen bedeutungslos. Und wie Aristoteles, so sahen auch die
Autoren/innen der Upanishaden (auch Frauen sollen an ihrer Entstehung beteiligt
gewesen sein), in der Realisierung des eigenen Selbst das höchste Glück: Dass wir tun, was unserem
tiefsten Wesen entspricht.
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Wenn du von deinem Weg abirrst, dann zieh dich in einen stillen Winkel zurück und komme wieder zu dir selbst!
So würde ich die folgende Stelle aus den Selbstbetrachtungen des Philosophenkaisers Mark Aurel zusammenfassen:
„Und wenn du die Kraft hast, ihnen (den Tugenden) treu zu bleiben, dann bleib dabei wie einer, der auf die Inseln der Seligen entrückt ist. Wenn du aber merkst, daß du wieder vom Wege abirrst und nicht Sieger bleibst, dann zieh dich getrost in einen Winkel zurück, wo du den Sieg erringen wirst.”
An einer anderen Stelle drückt er denselben Gedanken nochmals aus:
„Wenn du durch die Umstände gezwungen wirst, irgendwie deine Fassung zu verlieren, dann zieh dich schnell in dich selber zurück und gerate nicht mehr aus deiner Bahn, als unvermeidlich ist. Denn du wirst über die Harmonie mehr Herr werden, wenn du beständig zu ihr zurückkehrst.”
In dem Wort „Harmonie” steckt das Bei-sich-selbst-Sein und das Mit-sich-selbst-im-Reinen-Sein, in die eigene Stille kommen, innere Ausgeglichenheit, die „Geborgenheit im Inneren”. Unter „Tugenden” können ganz allgemein weise Lebensgrundsätze verstanden werden, die dem Ziel eines gelingenden Lebens dienen. Weitgehend setzten die Denker der Antike Weisheit mit Tugend gleich.
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Sokrates schätzte die Stille ebenso wie die Unterhaltung.
Dass er ein unbestrittener Meister des Dialogs war und als solcher wie kaum ein anderer die abendländische Philosophiegeschichte beeinflusst hat, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass er offenbar auch ein Meister der stillen Versenkung war. Aus mehreren Quellen wird uns folgende Begebenheit berichtet:
„Wir haben gehört, dass Sokrates neben anderen
freiwilligen Kraftproben und Leibesübungen, um sich gegen Schicksalsschläge
abzuhärten, auch die Gewohnheit hatte, Folgendes zu tun:
Oft stand er, sagt man,
den ganzen Tag und die ganze Nacht, von einem Sonnenaufgang zum anderen, ohne
mit den Augen zu zwinkern, unbeweglich, die Füße auf denselben Fleck, das
Antlitz und den Blick auf einen Fixpunkt gerichtet, in Nachdenken versunken,
als wären sein Geist und seine Seele vom Körper getrennt.”
Das
klingt wie die Beschreibung eines Yogis bei der Meditation. Der Mann, der das “Erkenne dich selbst!” wie kein anderer
von sich und seinen Mitmenschen eingefordert hat, wird gewusst haben, dass zu
einem erfüllten Leben und Miteinander ein regelmäßiges, einsames, aber reinigendes In-sich-Gehen gehört.
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Stille entsteht, wenn der Mensch völlig in sich selbst ruht. Diese Stille ist schöpferisch.
So könnte folgende Stelle bei dem chinesischen Philosophen Liezi verstanden werden:
„Der SINN (Dao, der rechte Weg) des auf sich selbst Beruhenden ist Stille: So entstehen Himmel, Erde und die ganze Natur …”
Nicht wenige Stellen bei Liezi beziehen sich auf das Daodejing des Laotse oder sind mit diesem nahe verwandt. Die Stille, die hier gemeint ist, hat – wie im Daodejing – nichts mit Untätigkeit zu tun. Im Gegenteil: Sie ist sehr produktiv. Aus ihr entsteht alles. Gemeint ist damit nicht nur die Natur, sondern vor allem auch der Mensch als ein Teil von ihr. Das Zitat besagt daher auch: Was der Mensch tut, wenn er ganz und ungestört bei sich ist und in sich ruht, das hat Dauer, Substanz und Gehalt. Das ist das wirklich Bedeutende, das Nährende, das Eigentliche. Was wir aus unserer Mitte heraus tun, das zählt.
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Wem stille Ruhe ward zuteil, den fechten keine Leiden an.
Dieser Stelle aus der indischen Bhagavadgita hätte Epikur ebenso uneingeschränkt zugestimmt wie der folgenden:
„Die höchste Lust den überkommt,
Der Ruhe des Gemüts
erreicht.”
Die
Bhagavadgita dürfte hier in erster Linie, aber nicht nur, den Zustand
der
Versenkung in yogischer Meditation im Auge haben. Das einleitende Zitat
besagt, dass innere Ruhe und Ausgeglichenheit die beste Vorbeugung
gegen alle seelischen, aber auch die meisten körperlichen Leiden ist, da
diese
in ihrem Entstehen, ihrem Verlauf und in ihrer Beendigung im hohen Maße
seelisch bedingt sind. Dies konnte von der Psychoneuroimmunologie und
psychosomatischen Forschung vielfach wissenschaftlich nachgewiesen
werden, zählte
aber auch schon zum festen Wissensbestand antiker Weisheitslehren in
Orient und
Okzident. Der zweite Satz behauptet, dass innerer Frieden und
Gelassenheit das
höchstes Menschglück seien.
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Der Mensch ist glücklich, wenn seine Seele still und ruhig ist, weil sie durch keinerlei Erregung gestört wird.
Der griechische Philosoph Epikur war der Auffassung, dass das Glück des Menschen darin besteht, die Dinge und das Leben so zu genießen, dass der innere Seelenfrieden weder durch Ängste noch durch Schmerzen oder sonstige Beunruhigungen gestört wird. Diesen Seelenzustand verglich er mit der Meeresstille:
„Wie man unter Meeresstille das versteht, dass nicht einmal der schwächste Luftzug die Flut bewegt, so erscheint der Zustand der Seele ruhig und still, wenn keinerlei Störung mehr da ist, durch die er in Erregung geraten könnte.”
Eine
bis heute anhaltende Polemik löste Epikur dadurch aus, dass er dieses
Glück als
die höchste „Lust” bezeichnete, die der Mensch auf Erden erlangen kann.
Man wird der Philosophie Epikurs gerechter, wenn man das griechische
Wort „hedone”, das er dafür verwendete, anstatt mit dem üblichen Wort
„Lust“ mit „Freude” oder „sinnlich angenehme
Empfindung” übersetzt, was es nämlich auch heißen kann.
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Schaffe Leere bis zum Höchsten! Wahre die Stille bis zum Völligsten!
Die Worte sind Teil einer berühmten Stelle aus dem Daodejing (Tao-Te-King) des Laotse. Über dieses Zitat sagte ein bedeutender Kulturhistoriker, es gebe vielleicht keine weisere Stelle in der ganzen Weltliteratur. Es lohnt sich, sie im Zusammenhang zu lesen:
„Schaffe Leere bis zum
Höchsten
Wahre die Stille bis zum
Völligsten!
Alle Dinge mögen sich dann
zugleich erheben.
Ich schaue, wie sie sich
wenden.
Die Dinge in all ihrer
Menge,
ein jedes kehrt zurück zu
seiner Wurzel.
Rückkehr zur Wurzel heißt
Stille.
Stille heißt Wendung zum
Schicksal.
Wendung zum Schicksal
heißt Ewigkeit.
Erkenntnis der Ewigkeit
heißt Klarheit.”
„Stille” ist hier das Zurückkommen zu sich selbst und seinem Ursprung („Wurzel“, Natur), das Zur-Ruhe-Kommen eines Denkens und Wollens, das ständig Absichten hat und mit deren Umsetzung beschäftigt ist. „Stille” steht für den ruhigen Fluss des Lebens, die Hingabe und Annahme des natürlichen Kreislaufs alles Lebendigen einschließlich des persönlichen Schicksals. Wer so in seine Mitte gekommen ist, der erlangt Klarheit über sich selbst, seine Bestimmung und den Sinn des Lebens. Seine Aufmerksamkeit gilt dem achtsamen Schauen und Gewahrwerden dessen, was ist und geschieht („Ich schaue, wie sie sich wenden.“).
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